Ein Ausnahme-Abend, wieder einmal. Unser Talkgast ist Benita Justus, Profilerin, Gesichtsleserin. Es geht um die Physiognomik, eine Lehre, die über 2.000 Jahre alt ist und in China von Generation zu Generation übermittelt wurde. Ärzte wie Paracelisius machten sich im 15./16. Jahrhundert diese Technik zu Nutze. Künstler wie Albrecht Dürer waren von dieser Methode ähnlich fasziniert wie Wissenschaftler, Schriftsteller und Denker wie Alexander von Humboldt oder Wolfgang von Goethe.
Wie begrüßt man jemanden, der in deinem Gesicht lesen kann? Wir kennen den Scannerblick im Fashionbereich, Prada, Gucci, Valentino und die Tasche von Hermès. Aber nun könnte es um das eigene Seelenprofil gehen. Carmen kennt sie schon, hat den Kontakt aufgebaut, den Abend vorbereitet. Benita und ich haben uns noch nie zuvor gesehen.
Die Tür geht auf und, soviel steht fest, eine Ladung geballte Energie kommt rein. Wir schütteln uns die Hände und fixieren uns. Auch wenn sie behauptet, sie würde die Analyse im Kopf ausschalten können. Nein, wir sind beide im „On“. Erste Gäste kommen.
Ihr Buch habe ich gelesen, über die Areale: Geist (Stirn), Seele (Nase/Augen), Körper (Kinn). Als Kind und Teenager war ich mit keinem Bereich meines Gesichtes zufrieden. Die Stirn verdeckte der Pony, die Nase war zu groß, der Mund zu schmal, das Kinn ragte zu weit vor, die Ohren standen ab, kam mir vor wie ein Baby-Elefant.
Wir lachen und rangeln sofort nach der Begrüßung um Begriffe: Bitternis, kommt sie von außen oder innen? Bin ich passiv oder aktiv, Opfer oder Handelnde. Was ist Neugierde? … Sie ist die „Technikerin“, die (Gesichts-) Fakten sammelt. Ich bin die Sprach-„Philosophin“, die Wörter befragt.
Wer sitzt wo? Ich bitte Sie, doch rechts von mir zu sitzen, meine „Geschäftsseite“, wie mir erklärt wird. Wir betrachten unsere Ohren, mein rechter Innenhelix ist weiter innen als der linke, meine private Seite. Rechts lasse ich weniger zu, treffe meine Entscheidungen allein, auf der Herzseite liebe ich die Kommunikation. Spätestens jetzt hat sie mich und uns …
Benita übernimmt und beginnt mit einem Schnellprofil von zwei Gästen, die sich freiwillig melden. Konzentriert betrachtet sie die Zonen in deren Gesichtern, die kleinsten individuellen Ausprägungen, die für sie so viel verraten.
Wie ist der Mund geschwungen, der Abstand zwischen Nase und Lippen, die Wangenknochen … Es ist ein blitzschnelle Addition von Details und ihre Auswertung. Als ehemaligen Kunsthistorikerin, Trompe l’Oeil Malerin und Künstlerin hat sie ihr Leben lang das Sehen gelernt.
Ich habe nicht auf die Uhr geschaut wie lange Benita spricht, schnell, eloquent und mitreißend, wie lange wir zuhören, gefesselt und konzentriert. Jeder hätte gern bei ihr eine Extra-Stunde, eine Ausbildung, ein paar Informationen über das, was uns das Bauchgefühl schon sagt, aber was so schwer ist, in Worte zu fassen und zu akzeptieren: Wer bin ich? Was will ich tun im Leben? Wo ist mein Platz?
Nachdem sie geendet hat, bilden sich kleine Gruppen, stehen die Freundinnen geduldig an, bis sie an der Reihe sind für ein kurzes persönliches Gespräch mit ihr, für ein paar prüfende Blicke auf das, was sich wie ein Buch lesen lässt, wenn wir denn die Werkzeuge dafür haben: unser Gesicht.
Danke an Carmen und an Benita, die als Profilerin ihre Erfüllung gefunden hat. Ihr Buch widmete sie allen Menschen, „die sich bisher unverstanden und ungesehen gefühlt haben.“ So ein Satz schlägt den Bogen zu meiner Mode und den Muscheln von Alexander von Humboldt.
Am nächsten IT’S A DIENSTAG geht es um Musik, Gesang, eine spanische Gitarre … Anmeldung unter: info@romaetoska.de
Spannend, wo gibt es Ihr Buch?
Benita Justus, Die Profilerin, Marion Glück Verlag, 2021