Herrlich, Sibylla (29) und ich sitzen uns gegenüber. Noch ist keiner der Gäste da. Ich sage: „Und?“ – Gemeint war das Gespräch für den Abend. Aber „und“ impliziert so vieles zwischen uns: Wie geht es Dir? Wie sieht es aus zwischen Karthargo und Sparta? Genuss und Arbeit. Love & Peace. Wir lachen beide, wie wir so viele Male miteinander gelacht haben. Die ernsten wie die absurden Themen liegen eben nah beieinander.
Dann das offizielle Foto, in unserer Mitte Sibylla, die sich für die Demokratie einsetzen will, weil sie es von Kind auf an lernte, am Frühstückstisch bei den Eltern, der Theologin und dem Historiker. Da bekommt man automatisch mit, dass es um Werte geht und die Gunst, in einem freien Land zu leben.
Roma studierte Philosophie, Sibylla Politologie und Geschichte, beide in Frankreich. Dann machte Roma ihre Kochausbildung und Sibylla schrieb sich für das Studium Political Administration in Speyer ein, Magister, Praktikum in der Protokoll-Abteilung des Europa Parlamentes in Brüssel.
Meine Fragen sind endlos und auch die anderen sind neugierig, hören aufmerksam zu. Wie geht das, so jung zu sein und so eine Bürde der Zukunft zu tragen. Sorgfältig möchte sie ihr „Ich“ vermeiden, lieber von „man“ oder „wir“ sprechen, als würde sie sagen wollen: Gebt mir noch ein wenig Zeit, mich zu sortieren, lasst mir noch ein wenig Raum, unbeschwert zu sein.
Mit eiligen eloquenten Sätzen listet sie auf, was der Demokratie schadet: das Desinteresse an Politik, die mangelnde Bildung, die Medien mit dem Überangebot von Information und Desinformation, die aggressiven Autokraten … – Sie weiß ihre Punkte zu setzen, ist bereit für die mühselige Lobbyarbeit, die harten Diskussionen auf den Fluren, zwischen Türen, vor Kaffee-Automaten.
Aber als ich sie nach ihrer Vision frage, weicht sie aus. Zu groß für diesen Moment in dieser Zeit? Geht Demokratie kleinteilig? Ich erinnere mich an Ece Temelkuran und ihr Buch Wille und Würde, wie sie anschaulich von ihrem Kinderzimmer spricht und der Schublade, in der alle kaputten Dinge aufbewahrt wurden (bis zum nächsten Wegwerfanfall der Mutter).
„Eines Tages kam ich auf die Idee, all die armen Sachen in einer Art Rettungsaktion zusammenzukleben. Nach und nach wuchsen sie sich zu bizarren Talismanen aus, die ich in meinem Zimmer aufhängte. Nun, da sie als Teile eines Ganzen in die Welt zurückgeholt worden waren, vermochten sie wieder zu sprechen.“ (Temelkuran, Seite 13)
Freiheit als Wert verstehen, Harry Potter in sich tragen, Frausein genießen, ohne es ständig zu befragen, setzt sich die Verteidigung der Demokratie in dieser gelebten Selbstverständlichkeit durch?
Wir alle, die wir um sie herum sitzen, haben Kinder und manche schon Kindeskinder. Es wäre ungerecht, würden wir die Suche nach Antworten bei der jungen Frau abladen, wenn wir sie selbst nicht wissen. – „Lass sie doch einfach mal machen“, wirft Angela ein. Zu spät, da hab ich schon gefragt, wo sie sich in 20 Jahren sieht.
Prompt kommt die Gegenfrage: Und was machst Du in zwanzig Jahren? Dann bin ich 81, und wenn ich noch lebe und gesund bin, dann werde ich alles daran setzen, sie zu unterstützen, diese fragile wundervolle verdammt wichtige Demokratie zu erhalten.
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Die nächsten beiden Dienstage machen wir eine Pause. Weiter geht es am 21. März 2023 mit dem neuen IT’S A DIENSTAG.
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