Nun lest Ihr noch ein weiteres Mal über Claudia Rößger, der Künstlerin aus Leipzig, die seit Pfingstsonntag zunächst bei uns auf Sylt zu Gast war, dann in Hamburg zu unserem IT’S A DIENSTAG. Und versprochen, es wird sicherlich nicht das letzte Mal sein, dass ich über sie berichte. Gestern waren wir erneut im Gespräch über Kunst, über ihre Kunst. Ruhig, konzentriert, ohne müde zu werden oder sich gar zu wiederholen, erzählt sie, erklärt sie und lässt dabei den Raum, dem Bild sein Geheimnis zu bewahren.

Mitte: Claudia Rößger, Kugel, 2009, Eitempera und Öl auf Hartfaser, 64 x 49 cm, € 2800

Am Montag Abend hatten im Kapitänshaus die Arbeiten abgehängt, das Haus wirkt nun verwaist, die pinkfarbene Wand vereinsamt, die „Bravo Ladies“ und der „Salzzauber“ fehlen, die anderen beiden Bilder sind verkauft. Eingepackt in zwei große Koffer und in Folie unter den Arm geklemmt, bin ich als erste los.

Claudia Rößger, oben: Motorradhelm, 2007 (€ 1.900), unten: Robin Hood, 2017 (€ 1.500)

Intuitiv  habe ich sie in den so ganz anderen Räumlichkeiten gehängt und gestellt. Neue „Wahlverwandtschaften“ entstanden, die deutlich machten, dass die Bilder sich gegenseitig ergänzen, die Sprache der Künstlerin sich in Schwingungen ausbreitet. Ob Zeichnung oder Malerei, jeder veränderte Kontext ermöglicht wieder neue überraschende Entdeckungen.

Claudia Rößger, oben: Gazelle, 2021 (€ 1.100), unten: Die Tafel, 2015 (€ 1.100)

Während ich Claudia zuhöre, ihr Fragen stelle, kann ich mich nicht sattsehen an ihren Bildern an den Wänden. Wir diskutierten über das alte Thema der Kunstgeschichte: Sehe ich mehr, wenn ich mehr weiß, oder verbaut sich mir der Blick mit dem Mehr an Wissen? Ist es wichtig, was sich die Künstlerin dabei gedacht hat?

Eine Weile bleiben wir vor dem „bockigen“ Mädchen stehen, in dem viel von Claudia steckt. Sie erzählt von ihrer Situation, in der sie war, als sie die Kreidezeichnung anfertigte. „Ich könnt mich mal“, war ihre Haltung. Kein Wunder, es das einzige Bild ist, dass ich etwas abseits gehängt habe. Die Keramik Vasen aus den 1930er Jahren sowie die Terrakotta von Luca Lanzi werden zu stummen „Verbündeten“.

Claudia Rößger, Filz, 2021, Kreide auf Papier (€ 900)

Es gibt das berühmte Buch von Roland Barthes „Off the Wall“ über CyTwombly: Der Künstler muss sein Werk lassen, sich wieder hinausstehlen, damit wir uns darin wiederfinden. Es gelingt auch hier, jeder von uns besitzt seine eigenen Assoziationen. Mich fesselt bei dem Mädchen ihr verschlossener Blick, der nach innen geht, die Lippen, die aufeinander gepresst sind. Bloß nichts von sich preisgeben. Ob es mein Bild wird?

Aus dem Talk wird eine Unterhaltung, auf dem Tisch ausgebreitet liegen Kataloge, Postkarten, die Ausgabe des ART Magazin mit einer Arbeit von Claudia Rößger auf dem Cover. Es wird Zeit für den nächsten Sprung der Karriere. „Sie ist eine großartige Künstlerin“, wie mir Barbara Mirow, die ehemalige Kulturchefin des NDRs, zuraunt. Ist sie!

Sie gehört auf die große Bühne, ohne Schnickschnack und Dekor, so wie ihre Bilder sind, mit dieser schlichten Geste von jemandem, der nicht lügt, der sein Handwerk versteht, um damit souverän die Weglassungen zu skizzieren. „Es lebe die Malerei“, schrieb Henri Matisse auf eine Postkarte an seinen Freund Pierre Bonnard.

Bei Claudia Rößger wird die Malerei zu einem Instrument der Selbstbefragung und damit macht sie sie so aktuell, wie sie nur sein kann. Wir brauchen uns, verorten uns dort, wo wir herkommen und wo wir hingehen, „in letzter Konsequenz auch hoch politsch und zeitgeistig“. Ich greife damit einen nächtlichen Kommentar von einer unserer treuen IT’S A DIENSTAG Besucherinnen auf: „Ich wäre sehr gern in einem Gespräch mit dieser wunderbaren jungen Frau versunken …“

Es wird spät. Um Mitternacht liege ich im Bett und schaue mir noch mal die Fotos an. Die Arbeiten sind an den Wänden geblieben, zu schön sieht es aus, sie schmeicheln der Poolstrasse 30.

Ich wünsche mir noch zwei Großformate dazu, meine Mode spielt mit, die Bücher, die Objekte, die Menschen, die kommen und gehen. „Off the wall“, wie Roland Barthes schrieb: die Kunst gehört in unseren Alltag.

Danke Claudia für die vielen schönen, intensiven Stunden mit und über die Kunst. Die Arbeiten sind noch bis zum 6. Juni 2023 in der Poolstrasse 30 in Hamburg-Neustadt zu sehen. Täglich von 11 – 19 Uhr.