Ein wenig müde sieht sie aus, Aleksandra Jagdfeld, unser IT’S A DIENSTAG Talkgast. Der Zug aus Berlin fiel aus, der nächste verspätet. Mit dem Koffer kommt sie durch die Tür gerollt. Schwarzer langer Rock, puristisch weiße Bluse, darüber ihr Seiden-Mantel, ähnlich dem, in dem ich mich morgens fotografiert hatte. Sofort wird klar, hier handelt es sich um Lieblingsstücke, das subtile Statement einer Fashion-Business-Frau, Mutter von drei Kindern, sieben, vier und zehn Monate alt. Da hat der Tag 16 Stunden +.

Wir dekorieren ihre Chapan-Mäntel aus handgewebten Stoffen aus Usbekistan, gefertigt in Deutschland. Dazu hat sie noch drei Kissen mitgebracht, die auch ihren Platz finden. Sofort verändert sich der Raum, korrespondieren meine Teile mit den ihren, alles erhält eine neue Präsenz.

Die ersten Gäste kommen. Drinks, Snacks, es wird probiert und angeregt geplaudert. Überraschend leicht sind die Mäntel, die einen umhüllen und umspielen, uns unerwartet schöner und sichtbarer machen.

Die verschiedenen Farben und Designes passen sich dem eigenen Look an, und es entsteht ein ausgefallener Mix zwischen Exotik, traditioneller Webkunst und Highfashion Moderne.

Aleksandra beginnt zu erzählen von den Anfängen, dem Modestudium, dem Wunsch, die Welt zu retten (wollte ich auch und immer noch), von dem Department Store Quartier 206 ihrer Schwiegermutter, mit der sie eng zusammenarbeitete. Es war die Adresse in Deutschland mit dem „Who is Who“ der Designer: Prada, Gucci, Wunderkind, Balençiaga … Ich erinnere mich gut, wie inspirierend es war.

Und dennoch, es roch auch hier verdächtig nach Plastik und Chemie beim Auspacken. Mode selbst in der Luxusvariante ist ein Massenprodukt in einem System der Gewinn-Optimierung, gesteuert von den großen Fashion-Konglomeraten. Auf der Strecke bleibt das, was Mode sein sollte, wertgeschätzt, nachhaltig, einmalig.

Und so entstand aus einer ihrer vielen Sinnkrisen heraus der Plan, selbst kreativ tätig zu werden. Sie wollte einen Mantel entwerfen, der an ein Herrscher-Symbol erinnert, ein Kleidungsstück von Männern wie Frauen getragen, das wärmt und schützt, das schmückt und begleitet … Möglichst ein Leben lang.

Eine Reise führte sie nach Usbekistan, und so kamen die Elemente ihres 2019 gegründeten Labels zusammen: Archetypisches Design und traditionelles Handwerk, wie es über Jahrhunderte gepflegt wird, neu interpretiert, zeitlos und wandelbar.

Aleksandra fährt sich einmal mehr über die Stirn, als könne sie so die Müdigkeit wegwischen. Ernst ist sie, bedächtig und klar in ihrem Vortrag. All die Unwegsamkeiten von der ersten Idee bis zum fertigen Kleidungsstück. Die Menschen in Usbekistan haben ein anderes Zeitgefühl als wir. Fertig in zwei Wochen, ja sicher, aber was sind dort zwei Wochen.

Wenn es in dunkel wird, müssen die Frauen ihre Arbeit am Webstuhl einstellen, denn Elektrizität gibt in den Dörfern nicht. Das Seidengarn wird auf den Märkten gekauft, manchmal fehlt eine Farbe, dann stockt wieder alles, und man kümmert sich um andere Dinge, während im fernen Deutschland auf die Stoffe für die Kollektion gewartet wird. Mode ist ein kleinteiliges aufreibendes Geschäft, das vergessen wir oft.

Zuerst waren es sieben Stoffe, dann noch drei Varianten, jeder Mantel daraus ein Unikat. Das gewebte Material besitzt nur eine Breite von 45 cm, damit braucht es bis zu 11 Metern, um einen knöchellangen Chapan fertigzustellen. Detailliert erzählt Aleksandra die Prozesse, wie sie in Berlin die Muster Vorlage 1:1 erstellt, dann in Uskekstan oft wochenlang geübt wird bis alles stimmt, die Garne aufwendig eingefärbt, die Farb- und Formenbilder getestet.

Am Ende entsteht ein (Couture-)Mantel, der einen begleitet als Lieblingsstück, ein Leben lang … bis wir ihn vererben. Er ist angefüllt mit all dem, was ihr und mir so wichtig ist: einer Geschichte von Tradition und Wertschätzung und den Geschichten der Trägerin, wann sie ihn wo getragen hat. Ein wichtiges Gut in unserer Zeit von Fast Fashion und Wegwerf-Gesellschaft.

Und wenn sich der Zug mal wieder verspätet, an jedem Bahnübergang hält, so wie meiner gestern in aller früh, dann rollt man den Seiden-Samt-Chapan zusammen, legt den Kopf darauf oder kuschelt sich ihm ein wie mit einer Decker, träumt und lässt sich durch die Landschaft kutschieren. Genießen kann man jeden Moment.

Seiden-Cotton Mantel (€ 1.590), Seiden-Samt Mantel (€ 2.390).

Danke Aleksandra für diese Reise in eine Zukunftsvision, in der Mode nicht mehr Mode ist, sondern etwas von uns selbst.

PS: Ein paar dieser Mäntel sind in der Poolstrasse 30 in Hamburg sowie in Kampen auf Sylt zu sehen. Vom 24. – 27. Juli 2024 ist Aleksandra Jagdfeld mit einem Pop-up Event im Kapitänshaus zu Gast.