Wenn sich das Sonnenlicht auf dem Meer spiegelt, um es in tausend Sterne zu verwandeln, sich die Wellen sanft in Falten legen, dann werden wir an sie denken. Wenn sich die Wolken weiß bauschen und Himmel und Meer zu einer blauen Linie treffen, dann sind wir bei ihr. Es sind die Bilder der gestrigen Seebestattung vor der Küste Hörnums, vorbei an den Muschelbänken, die sich für immer in unsere Erinnerung eingebrannt haben.

Wie an dem Tag, als Astrid Reifferscheid starb, der erste Tag im Sommer, hielt das sonst so stürmische Wetter hier im Norden auch diesmal kurz den Atem an. Nicht ein Hauch kräuselte die Meeresoberfläche. Bleiern lag die See vor uns, magisch, wie in dem Film „Life of Pie“, wenn der Junge mit den Tieren im Boot auf dem endlosen Ozean dümpelt.

In einer kleinen Gruppe von Freundinnen und Freunden gingen wir an Bord des Schiffes. Mir war nicht nach reden. Auf See wird man wordkarg, ausgeliefert an die Elemente, die Sätze überflüssig machen. Nach ungefähr einer Stunde Fahrt stellte der Kapitän die Maschinen auf Leerlauf und hielt eine kleine Ansprache, so wie es üblich ist bei diesen Bestattungs-Zeremonien, wenn die Asche dem Meer übergeben wird. Die Seeleute nennen es „Heimkehr“.

Seine Rede wirkt hölzern, ernst und konzentriert. Wir brauchen keine Show, keine großen Erklärungen. Wir verstehen auch so. Das Meer zeigt sich sanftmütig, wie die Freundin war. Das langezogene Wiegen der Wellen entspricht den so charakteristischen Schritten von ihr. Es geht gar nicht anders, sie muss ein ganz besonderer Mensch gewesen sein, dass der Himmel ihr so gewogen ist.

Gemeinsam gehen wir zum Achterdeck, wo der Kapitän den Kranz mit der Urne ins Wasser lässt. Eng stehen wir beisammen, halten uns umarmt, weinen leise, ohne uns der Tränen zu schämen. Verstummt ist das „Warum sie?“. Geblieben ist ein inniger Abschied, der etwas von einem ewigen Kreislauf besitzt.

Wir werfen Blumen hinterher, während das Schiff drei Runden um den Blütenkranz dreht. Dazu spielt die Musik, die sich Astrid ausgesucht hat. Sie besaß die Zeit, all dieses sorgfältig zu planen und hätte sich gefreut, uns so sehen.

Wären wir nicht alle Zeugen, wäre es verdammt kitschig, aber in diesem verzauberten Moment taucht plötzlich eine Robbe mit ihrem Kopf aus dem Wasser. Ihr Blick wirkt nicht neugierig, sondern wissend, als würde sie nicken und von hier ab die „Reiseleitung“ übernehmen ins Reich des Meeres. Dann taucht sie ab, zu spät für ein Foto. Zwischen den Tränen müssen wir lachen, typisch Astrid, es fehlen nur noch die Eisbären, die sich auf ihrer-jetzt-meiner Bluse tummeln.

Das Schiff nimmt Fahrt auf zurück zum Hafen. Wieder eine Robbe, etwa die gleiche? Ist sie nun unsere Begleiterin oder wechseln sie sich ab, damit jeder zu seiner Heimstatt findet? Champagner glitzert in der Sonne. Stilvoll stoßen wir an: „Prost Astrid“.

Geschichten werden ausgetauscht, während der Fahrtwind uns durchs Haar weht. Jeder von uns hat mehr als ein Erlebnis mit ihr. Sie hat uns begleitet, einige sogar von Kindheit an, ein Leben lang. Für mich waren es viele Schlüsselmomente. Nun ist das Meer unser Erinnerungsort.

Bis in den Abend bleibt die See ruhig. Als wüssten sie es nicht anders, legen sich die Wellen in weiche Falten. Ruhe in Frieden, Seefahrerin. Und die Sonne sendet ihre letzten Strahlen, damit sie als Sterne auf der Oberfläche tanzen.

Wir können dem Tod nicht ausweichen, wir sind nur Gast auf dieser Erde, wie Pastorin Susanne Zingel heute in ihrer Predigt sagte. Aber wir können uns trösten, in dem wir das Abschiednehmen hand-in-hand als etwas Erhabenes erleben, das Anfang und Ende auflöst.