Manch einer mag überrascht sein, aber ich liebe den Rückzug, ganz allein mit mir selbst in einer Ecke versunken, dazu ein gutes Buch, das fast zuende gelesen ist, mit Gedanken, die um das eigene Ich und das andere Nicht-Ich kreisen. „Die Selbstreflexion wurde zur Methode, um die Welt zu verstehen“, schreibt Andrea Wulf in ihrem Bestseller über die Frühromantiker. Ich habe es mit Begeisterung gelesen, es passt so sehr in unsere Zeit und hängt als philosophische Idee über den Schauen der zurückliegenden Fashion-Weeks.
Andrea Wulf, Fabelhafte Rebellen. Die frühen Romantiker und die Erfindung des Ich, 2022
Wunderschön kürzlich in Paris die Kreationen von Dries van Noten mit der Huldigung an die Frauen, wie sie sich finden in ihrem selbstbestimmten So-Sein (oder Ich).
Dann ganz anders Maria Grazia Chiuri, Chefdesignerin von Dior, der es um die Vielfalt der Frauen geht, sich nicht mehr einordnen lassen zu wollen in alte Systeme und Klischees von Weiblichkeit. Auch das hat etwas mit den frühen RomantikerInnen zu tun, mit einer Caroline Schlegel-Schelling oder Caroline von Humboldt.
Die Zeit um 1800 schenkte uns „die aufregendste aller Kräfte: den freien Willen“.
Hinter mir die Delfter Fliesen aus dem späten 17. Jahrhundert und die Fotoarbeit von Ulf Saupe. Ich kauere mich noch ein wenig tiefer in den weichen roten Sessel aus den Zwanziger Jahren, auch so eine Epoche, die die künstlerischen Freiheiten förderte.
Bluse Aspesi und Brombeer-Bluse, Kissen Ardmore (€ 390)
Wieviel wagen wir davon heute, und womit stoßen wir an die Grenzen der Freiheit des anderen, wie Kant es aus seiner Königsberger Enklave heraus formulierte?
Und was passiert, „Wenn Philosophen wie ausgehungerte Ratten sich einander selbst auffressen“, so eines der Kapitel in dem Buch, das sich auf das Frühjahr 1801 bis 1803 bezieht, als der Jenaer Kreis auseinander brach. Novalis war soeben verstorben. Jeder der übrigen traute dem anderen nicht mehr über den Weg: Schiller, die Schlegels, Fichte, Schelling, Hegel. Was für ein Drama. War es das Zuviel an Ich? Die Übergänge hin zu Eitelkeit, Neid und Missgunst sind fließend.
Auch die Mode leidet unter dem Übermaß an Selbstdarstellung, die Influencer, die sich vor den Toren der Schauen wie Pfaue inszenieren, um die Klicks auf Instagram in die Höhe zu schrauben, bezahlt von den Marketingchefs der Fashion-Konzerne. Ich will nicht sagen, die Party is over, aber jedes Fest braucht den leicht verkaterten und sanft reflektierenden Morgen danach.
Danke liebe B xx