Über Rembrandt und das Amsterdam des 17. Jahrhunderts hatte ich schon geschrieben. Eine Ausstellung geht noch, dachte ich mir auch am vergangenen Samstag und lief ein paar Schritte weiter am Frankfurter Mainufer entlang vom Städel zum Liebieghaus. Den Kopf voll des Gesehenen, die Porträts der Schützengilde, die Tuschzeichnung von Elsje …, und nun noch ein Häkchen bei Isa Gensken und der Skulpturen-Sammlung der Antike machen.
Ich husche vorbei an dem Plakat Nofretete mit Sonnenbrille. Am Eingang zeige ich mein Ticket, knote energisch die Jacke um die Hüften und rein … Aha, nochmal Nofretete, diesmal farbig gefasst, andere Sonnenbrille. Bingo, wie ist der Plan?
Isa Gensken, Nofretete, 20218
Ich gehe ohne zu verharren schnellen Schrittes durch die Räume, und verstehe nichts. Wie war es doch schöngeistig „gemütlich“ bei den alten Meistern. Kurz vorm Ausgang verharre ich ungläubig: Kann doch nicht sein, Isa Gensken gehört zu den wichtigsten Künstler*innen der Gegenwart, und ich kapiere nichts. Schon stehe ich wieder vor dem Kontroll-Mann: Sorry, ich muss da noch mal rein und eine zweite Runde drehen. Augen auf, innerlich ruhig werden und die emotionale Wahrnehmung auf durchlässig stellen …
Isa Gensken, Untitled 2016
Wie sagte mein Doktorvater: Sehen lernen. Eine Collage aus dem wissenschaftlichen Katalog des Museums zu den Farb-Studien der Antike. Klebestreifen kreuz und quer. Sie erinnern mich an die großen Vertreter der Konzeptkunst. Ich schlendere noch einmal an den Nofretetes vorbei, die mit weißem Gips und die farbig gefasste. Das Original befindet sich im Neuen Museum in Berlin, farbig gefasst. Weiß galt in der Antike als hässlich. Dazu addiert Gensken die Insignien unserer Konsum-Ästhetik, die Sonnenbrillen. Kaum ein anderes Luxuselement ist so der Vergänglichkeit von Moden unterworfen.
Isa Gensken, Untitled 2015
Der nächste Saal: Kimono Gewand und antike Köpfe. Ich beginnen auf die Details zu achten. Schon bin ich der Künstlerin auf der Spur. 1948 wurde sie in Bad Oldesloe geboren. In einem kleinen Ort wie diesem ist einem gewiss nicht in die Wiege gelegt, radikale Wege zu gehen und damit internationale Anerkennung zu finden. Studium der Malerei in Hamburg, Philosophie, Kunstgeschichte, Fotografie und Graphik. Meisterschülerin bei Gerhard Richter in Düsseldorf. 2007 gestaltete sie den Deutschen Pavillon der Biennale in Venedig. 2013 widmete ihr das MOMA New York eine große Schau. Ihren Blick lenkt sie dorthin, wo es unerwartet wird, keinem äußeren Prinzip mehr folgt.
Isa Gensken, Schauspieler, 2017
Im Raum mit den Schaufensterpuppen zwischen den antiken Exponaten beobachte ich eine Besuchergruppe. Voyeuristisch kleben sie mit ihren Fotoapparaten an den Artefakten, durchbrechen den (Bann-)Kreis der ausgestellten Gruppe. Ich muss an meine Tochter Toska denken und ihre philosophische Fragestellung: Können Objekte sterben? – Sie wirken auf jeden Fall verwundbar und fragil, ausgeliefert trotz ihrer Unantastbarkeit. Ob vielleicht gerade das ihre Größe ausmacht, überlege ich.
Isa Gensken, Untitled, 2006
Statt die Tafeln zu lesen, lasse ich mich auf die Installationen ein, drehe meinen Blick nach rechts und links, wende mich um die eigene Achse. Es entwickeln sich verblüffende Bezüge, hier die Puppe mit dem Sonnenschirm und ein Riesenstreichholz, der sie zu durchbohren scheint. Dort vor der dunklen Wand die Madonna mit dem Jesuskind im Arm. Plötzlich wollen beide zusammen gesehen werden, „sich vermischen“, wie Gensken sagt.
Fast könntet Ihr jetzt ohne mich weiter machen. Ihr flaniert mit mir einfach weiter. Denkt nur, wie still es sein kann im Museum und wie beredt. Keine Ahnung, wohin die anderen Besucher*innen verschwunden sind. So ist es schön. Irgendwann wird mein Zug fahren, aber bis dahin ist noch viel Zeit. Zoom: Totale, Halbtotale, Close up.
Isa Gensken, Wind, 2009
„Eigentlich denkt man ja nur, man unterläge keinem Zwang, weil es niemanden gibt, der einem sagt, was man tun soll. Man muss alles aus sich selber herausholen und jede Entscheidung für sich alleine treffen. Und das ist nun zwar kein Zwang, aber das ist manchmal eine Katastrophe.“
Isa Gensken, Untitled, 2017
Diesen Satz von Isa Gensken schnappe ich irgendwo auf. Recht hat sie, es die Qual des Künstlers von der Banalität in die Universalität zu gelangen. Wenn es gelingt, wird es wahrhaftig.
„Der Witz, Amor, die Liebe und das Sich-wundern sind die Zukunft der nächsten modernen Kunst…“
Nur so viel, ich habe gerade eben noch den Zug nach Hamburg erwischt. Mein Verweilen dauerte doch etwas länger, ähnlich wie bei Rembrandt & Co. Isa Gensken meets Liebieg-Haus mit Unterstützung des Galeristen Daniel Buchholz, geht noch bis zum 31.8.2025.
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