Keine Panik bei diesem Begriff, den bekommen wir auch noch so mundgerecht zubereitet, dass er richtig Spaß bereitet. Es geht um Aby Warburg (1866 – 1929), den Hamburger Kunstwissenschafter und Begründer der kulturwissenschaftlichen Biobliothek sowie seine Art zu denken. Der Titel dieses Beitrags ist die Überschrift von einem Vortrag, den Dr. Karen Michels, meine gestrige Lunch Gesprächspartnerin, vor kurzem in der Fundaziun Nairs im Engadin hielt.

Allein der Einladungstext zu diesem Symposium in der Schweiz ist schon ein Zitieren wert:

„Wo gibt es Raum für selbstgefährdende Forschungsprozesse, innere Reisen, bei denen wir nichts von dem finden, wonach wir suchen, nur etwas von uns, von dem wir nicht wussten, dass es existiert?…“

Karen und ich sind wie immer von Null auf Hundert in einem herrlichen Gewirr von Gedankensträngen, von denen der eine den anderen bedingt und vorwärts schiebt. Ausflüge in die indigene Kultur (Aby Warburg und die Hopi-Indianer), Virginia Woolf und der Schmerz des Herzens … Pausenlos entstehen neue Räume für’s Denken mit einer Leichtigkeit wie Champagner intravenös. Herrlich gefährlich! Auch das steht auf der Engadin-Karte.

Nun aber zu Aby Warburg und seinem Haus in der Heilwigstrasse 116 in Hamburg, seinem „Trutzkasten“ für Bücher. Draußen am Eingang sind die beiden Laternen angebracht, Seezeichen, die in das Meer der Unwissenheit leuchten.

Das Innere war (nicht mehr erhalten) ein technisch futuristisches Gesamtkunstwerk von vier Etagen mit Personenlift, zwei Bücheraufzügen, 26 Telefonapparaten, einer Rohrpost und einer hydraulischen Buchanlieferung, Wir sprechen von den 1920er Jahren. Bewegung ist für Warburg alles, im Denken wie im Handeln.

Wir kommen zum Wesentlichen, wie Warburg seine Bücher sortierte. Keineswegs nach Alphabet oder Größe oder Farbe, sondern nach assoziativen Gruppen und dem „Gesetz der guten Nachbarschaft“, die sich permanent wieder änderte. Jedes Buch besitzt seine thematische Umgebung, enspricht einem wissenschaftlichen Forschungsprozess und den dazugehörigen geistigen Wanderungen.

Die Sortierung und Zuordnung wurden in dem Tagebuch der Bibliothek festgehalten, das die Kunsthistorikerin Gertrud Bing gemeinsam mit Aby Warburg führte und das später von Karen Michels für die Veröffentlichung transkribiert wurde.

Aby Warburg und Gertrud Bing in Rom, 1929

Dazu gab es mehrere Kartei-Kästen mit Verweisen und die Buchrücken erhielten besondere Farben, die Trikolore: oben für die Wissenschaftsgebiete, in der Mitte das methodische Stellenwerk, unten die Epoche und Topographie.

Für mich als Kunsthistorikerin war Aby Warburg damals nie wichtig gewesen, so wie Friedländer, Panofsky oder Gombrich. Aber vielleicht (oder ganz gewiss) war er nur seiner Zeit enorm voraus. Warburg betrachtete alles vom Rand aus oder wie es der Philosoph Georg Simmel (1858 –1918) beschrieb: „Die Peripherie als das Rekrutierungsgebiet des Neuen“. Klingt vertraut.

Heute wäre Aby Warburg ein systemischer Networker, ein Out-of-the-Box-Denker. „Wir müssen die grenzpolizeiliche Befangenheit überwinden“, sagte er immer wieder. Wie aktuell so etwas klingt: das Denken über die Grenzen hinaus in groß angelegten Kontexten. „Besser ein wendiger Patient der Idee“ (und daran leiden) „als ein saturierter Triumphator der Materie.“

Er folgte jenseits der klassischen Ikonographie den Handelsrouten durch alle Epochen und stieß dabei auf einen regen Austausch von Wissen und Kultur. Babylon, Arabische Handschriften… Die Welt ist vernetzt, statt eng einem Wissenschaftsgenre verhaftet.

Palazzo Schifanoia in Ferrara, 15 Jahrhundert.

Es war Warburg, der die schwierigsten Bildprogramme der Kunstgeschichte knackte, weil er beweglich denken konnte. Sein Ansatz gegen alles Statistische weist weit nach vorn in die Zukunft.

Wir sind und werden in einem ständigen geistigen Güteraustausch sein, in einem Kreislauf der Vorgänge mit individuellen und globalen „Bilderfahrzeugen“, Aby Warburg’s Worte. Eine schöne, faszinierende, aufregende alte und neue Realität im Wandel.