Wir haben uns wieder, Christiane von Korff, Literaturkritikerin und Freundin, unterwegs für Interviews mit Weltbestseller-Autoren, während ich zwischen Hamburg und Sylt pendele. Aber wir gehören zu jenen Menschen, die einen Satz selbst zwei-drei Jahre später einfach fortspinnen mit dem Verwundern, dass sich trotz all dem Wandel da draußen, miteinander grundsätzlich nicht viel geändert hat. Gut so.

Für diverse Magazine und für meinen Blog hat sie soeben die Frankfurter Buchmesse besucht. Sie sortiert ihre Fotos, schickt mir ihren Text, und in beides füge ich mich mit ein paar eigenen Anmerkungen ein (BT und CvK).


Christiane von Korff zusammen mit Nikolaus (Niki) Brandstätter, Verleger Wien – München.

CvK: Die Frankfurter Buchmesse feiert ihr 75 Jahre Bestehen – zur Eröffnungsfeier am frühen Dienstagabend sollte Bundeskanzler Scholz reden. Der musste absagen, da er an dem Tag nach Israel flog. Stattdessen schickte er die Kulturstaatsministerin Claudia Roth.



Christiane von Korff mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth

Nach ihrer Rede, in der sie sich solidarisch mit Israel erklärte, komme ich mit ihr auf dem Empfang des diesjährigen Gastlandes Slowenien ins Gespräch. Sie ist mit Avi Primor befreundet, dem ehemaligen israelischen Botschafter in Deutschland. Unser Buch „An allem sind die Juden und die Radfahrer schuld“, das wir gemeinsam geschrieben haben und in dem wir antisemitische Vorurteile widerlegen, ist aktueller denn je.

BT: Es ging wohl hoch her bei der Eröffnungsrede des berühmten Philosophen Slavoj Žižek aus Slowenien. Sofort ist er bei dem Israel-Palästina-Konflikt, mahnt eine doppelte Sichtweise an. Applaus und Buhrufe im Saal. Ich war nicht anwesend, lese es nur in den Medien. Er will der kühle Analytiker sein, geht das überhaupt? Die aktuellen Ereignisse in Nahost überschatten die Messe, wie mir Christiane berichtet. Die Party scheint zu Ende, auf jeden Fall der unbeschwerte intellektuelle Austausch, wie man ihn früher pflegte.

Andy Wahrhol Bild von Siegried Unseld

CvK: Eins meiner Highlights ist jedes Jahr der Suhrkamp Kritikerempfang, zu dem der Verlag handverlesene Gäste in das ehemalige Privathaus von Siegfried Unseld einläd. Ich habe den charismatischen Verleger noch persönlich erlebt, wenn er zur Frankfurter Buchmesse Kritiker wie Marcel Reich Ranicki, Autoren und Lektoren in seinem Wohnzimmer begrüßte.

An den Wänden Bücher und Bilder, sowie ein Unseld-Portrait von Warhol und Aquarelle von Hermann Hesse neben der Gesamtausgabe des Schriftstellers.

Jonathan Landgrebe, Verleger des Suhrkamp Verlages, stellt das neue Buch des Autors vor.

Zur Tradition gehört es, dass ein Suhrkamp Autor aus seinem neuesten Buch liest. Diesmal ist es Didier Eribon, französischer Soziologe, Schriftsteller und Philosoph. Sein autofiktionaler Essay Rückkehr nach Reims war ein literarisches Ereignis und gilt als Schlüsseltext zum Aufstieg des Rechtspopulismus.

Didier Eribon, der sein neuestes Buch „Die Arbeiterin“ einem exklusiven Kreis von Eingeladenen vorstellte.

An diesem Abend gibt der Schriftsteller eine Kostprobe aus seinem neuesten Buch, das im nächsten Frühjahr auf deutsch erscheinen wird. Es geht um Leben, Alter und Sterben. Eine soziologische und hochpolitische Analyse. Wir sprechen darüber, dass dieses Buch zugleich sein persönlichstes ist. Denn Eribon rekonstruiert die von Knappheit und Zwängen bestimmte Biografie seiner Mutter, die aufgrund ihrer Herkunft aus dem Proletariat nicht selbstbestimmt leben konnte.

Zurück zur Messe und der Erschütterung des unfassbaren Terroranschlags der Hamas auf Israel. Bei den Auftritten sind Polizei und Sicherheitskräfte vor Ort. Mir fällt ein Polizist auf, der seine Patroullie in den Gängen der Messehallen unterbricht. Er greift ein Buch aus dem Regal, blättert, und vertieft sich in die Lektüre. Ja, er lese gern, vornehmlich Sachbücher, sagt er auf meine Nachfrage.

Christiane von Korff mit Joana Osman

Ich treffe Joana Osman, Tochter eines palästinensischen Vaters und einer deutschen Mutter. Klug, humorvoll und bildreich begibt sie sich in ihrem Roman „Wo die Geister tanzen“ auf die Spuren ihrer Großeltern, die in Jaffa ansässig waren. Wie Hundertausende andere arabische Palästinenser verschlossen sie nach der Staatsgründung Israels ihr Haus, nahmen den Schlüssel mit, da sie hofften, eines Tages zurückkehren zu können. Die Autorin hat Familie und Freunde in Israel und Gaza. Und hat die Friedensbewegung „The Peace Factory“ mitbegründet, bei der sich Menschen beider Seiten begegnen können. Joana ist entsetzt: „Die Welt explodiert. Ich fühle mich hilflos, total überrollt von diesen Geschehnissen.“ Man dürfe nicht vergessen, dass hinter jedem israelischen und palästinensischem Opfer echte Menschen mit einer Geschichte, mit einem Gesicht, mit einer Familie, mit Wünschen, Träumen, Hoffnungen, Ängsten stehen.

Chistiane von Korff mit Michaela Beck, „Das Licht zwischen den Schatten“

Am Lübbe Stand bin ich verabredet mit Michaela Beck. In ihrem Familienroman Das Licht zwischen den Schatten, das 1918 beginnt und mit dem Mauerfall endet, wirft sie einen Blick auf schicksalhafte Epochen des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Gekonnt verknüpft die Autorin Zeitgeschichte mit fiktiven Lebensgeschichten, so spannungsvoll, dass ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen mochte, um zu erfahren wie die Protagonisten und die Schicksale dreier Familien miteinander verbunden sind.

Lizzie Doron, wurde als einziges Kind ihrer aus Polen stammenden Mutter Helena geboren. Die gesamte jüdische Familie wurde im Holocaust ermordet. Sie gilt als wichtigste Stimme der zweiten Generation der Holocaust Überlebenden und hat in Deutschland eine große Fangemeinde. Ihre letzten drei Bücher erzählen von Begegnungen und Freundschaft mit Palästinensern, die sich gemeinsam für den Frieden einsetzen. „Nur nicht zu den Löwen“ heißt ihr neuer, fesselnder Roman, zu dem ich mit ihr ein Interview geführt hatte. Das war vor dem Anschlag der Hamas.

Lizzie ist gerade aus Tel Aviv eingeflogen und erzählt mir, sie stehe völlig unter Schock, ebenso wie ihre palästinensischen Freunde. „Wir sind verzweifelt,“ sagt sie mir. „Ich habe das Gefühl, dass ich meine Identität, mein Bild von mir selbst und mein Land verloren habe, dass ich nicht mehr sicher bin.“ Mehrere Tage saß sie im Schutzraum ihres Hauses fest.

BT: Gestern las ich nach dem Gespräch mit Christiane den Artikel von Peter Beinart aus der New York Times. Er ist Israeli und besitzt zahlreiche palestinensische Freunde, genauso wie Lizzie Doron. Sein Text endet mit Trauer und Hoffnung: „Like many others who care about the lives of both Palestinians and Jews, I have felt in recent days the greatest despair I have ever known. On Wednesday, a Palestinian friend sent me a note of consolation. She ended it with the words “only together.” Maybe that can be our motto.“

BT: Salman Rushdie erhielt in Frankfurt den „Friedenspreis des Deutschen Buchhandels“. Im Raum, wie die Süddeutsche Zeitung schreibt, der Wunsch, dass Bücher die Welt retten können. Nein, er weist es zurück, können sie nicht, jedoch ist die wichtigste Qualität von Literatur die Freiheit des Wortes. Ich finde, dass ist ein hoffnungsvoller Ausblick. Und auch Christiane will diesen Beitrag in einem positiven Tenor enden.

CvK: Christopher Clark ist nicht nur ein renommierter Historiker, der mit seinen Büchern regelmäßig die Bestsellerlisten anführt. Sein neuer Bestseller heißt „Frühling der Revolution“. Sein Erzähltalent stellt er auch als Moderator unter Beweis. Ich bin ein Fan der sechsteiligen Terra X Reihe „Welten-Saga“, in der er die faszinierendsten Orte der Erde vorstellt. Dafür reiste er einmal um den Globus und besucht UNESCO-Welterbestätten.

Clark ist gebürtiger Australier, lehrt als Professor in Cambridge und spricht fließend deutsch. Als er Welterbe-Stätten wie Pompeji und Neapel  besucht, führt er Interviews in der Landessprache. Als ich ihn frage, warum er auch fließend italienisch spräche, lacht er und sagt: „Wer die europäische Geschichte verstehen will, muss italienisch beherrschen.“ Da kann ich ihm nur zustimmen: Nächstes Jahr ist übrigens Italien das Gastland der Buchmesse.

BT: PS. Und dann gibt es einen neuen Trend: die „Young Adults“ Literatur mit ihren „Romance“ Romanen, in denen die Influencerinnen und ihr Gefolge abtauchen in eine Phantasiewelt mit Liebe und Happy End. Ein Markt mit beachtlichen Auflagen, promotet über TikTok und Instgram.