Für die meisten Beiträge brauche ich nicht lange, es fließt spontan aus den Fingern in die Tasten. Ein kleiner Gedanke, um den sich Einiges rankt, ein paar Fotos und das Gefühl, dass Ihr und ich im Austausch sind. Dieses Mal ist es komplizierter, vielschichtiger. Was will ich wirklich sagen? Eine Trauerfeier, ein Davor und ein Danach, das mich intensiv beschäftigt, Sätze, die ich wieder streiche und umformuliere. Ein nächster Versuch, ein neuer Anfang: Am letzten Freitag fuhr ich nach Hamburg. Entlang der Bahn-Strecke grüne Wiesen, pralle Natur. Ich denke an die geliebte Freundin, die am Tag der Sommer-Sonnenwende von uns ging. Wie präsent sie doch ist. Ständig fallen mir weitere Einzelheiten ein. Trotzdem fühle ich mich ruhig und gefasst, meinen Abschied hatte ich innerlich schon vor Wochen vollzogen, dachte ich.
Die Landschaft zieht vorbei, und wie es im Leben nun mal ist, mischen sich die Gedanken: Astrid, die bevorstehende Feier, was anziehen. Seit mehren Wochen war ich nicht in Hamburg im Atelier. Die Liste der schnellen Erledigungen ist lang. Alles existiert in einer diffusen, ungeklärten Gleichzeitigkeit.
Wir Freund*innen und Weggefährt*innen waren eingeladen am Nachmittag zu einer Abschiedsfeier auf das Museumsschiff Rickmer Rickmers im Hamburger Hafen. Die Pastorin Susanne Zingel von St. Severin in Keitum sollte eine Predigt-Rede halten. Astrid hatte alles sorgfältig geplant, was nun von ihrem engsten Kreis auf so wunderschöne Weise umgesetzt wurde.
Mit großen Schritten eile ich entlang der Promade, Prada-Rock, maritimer Ringelpullover, YSL, Lanvin, Chanel-Kappe, Sommersandalen mit kleinem Absatz. Ich finde mich souverän und hübsch, die Haare frisch gefönt. Die oberflächlichen Details verdrängen das Wichtige. Bloß nicht fühlen. All das zerbröselt schon mit der ersten Umarmung am Eingang unten im Bauch des Schiffes. Der Raum strahlt eine gediegene Würde aus. Stuhlreihen rechts und links, vorne das Pult, über uns die gewölbte Holzdecke und unter uns das Wasser (…das in das endlose Meer fließt).
Neben Udo und seiner Frau vom Sylter Kreuzfahrtkontor ist noch Platz, er hat Tränen in den Augen. „Udo, hast Du auch ein Taschentuch für mich“, frage ich, emotional komplett unvorbereitet. Auch Kapitän Wolter ist da, wir schütteln uns die Hände, am liebsten hätten wir uns auch gleich in den Arm genommen. Er war zweimal mein Talk-Gast, Astrid hatte es organisiert.
Alle zusammen sehen wir aus wie eine buntgekleidete Reisegesellschaft auf hoher See. Jeder hat auf schwarze Kleidung verzichte, wie es ausdrücklich in der Einladung stand. Lasst uns das Leben feiern. Einfühlsam schildert Susanne Zingel ihre wenigen intensiven Begegnungen mit Astrid kurz vor ihrem Tod, verwebt sie mit unseren Erzählungen, Briefen und Notizen. Es wird eine Predigt und eine Rede, ohne Liturgie, ohne Gebete, aber mit einem warmherzigen Gedenken, das man als religiös bezeichnen darf. Es ist außergewöhnlich und sehr berührend. Neben mir und vor mir sehe ich die Tränen und auch meine fließen unkontrolliert.
Wie kann man strahlen, wenn es keine Hoffnung mehr gibt, lächeln, obwohl einem nicht nach Lächeln ist, vorwärtsgehen, wenn man stehenbleiben möchte? Sich kümmern, obwohl man selbst am meisten Fürsorge bräuchte? Es trifft so gut auf Astrid zu.
Vor ein paar Tagen hatte ich ebenso ein paar Zeilen an Susanne Zingel geschickt: „Astrid, die Seefahrerin. Ihr Leben unterteilte sich in ein Vor-der-Reise, in die Reise und in ein Nach-der-Reise als ein permanenter Kreislauf. Das Ankommen im Hafen schien wie eine Zwischenstation. Unsere Freundschaft war geprägt durch die Erinnerung an geteilte Erlebnisse, denn sie war schon wieder unterwegs auf der nächsten Fahrt. Seefahrer sterben nicht, sie umgegeben uns mit ihrer fernen Anwesenheit und mit ihren Geschichten.
Am liebsten würde ich die mir unbekannte Frau zur linken und Udo zur rechten Seite bei der Hand nehmen. Aber ich trau mich nicht, wir spüren uns auch auch ohne diese vielleicht zu persönliche Geste. Kaum merklich wiegt das große Schiff mit uns uns seinem Inneren. Es besitzt etwas Symbolisches, fast Alt-Testamentarisches: Liebe, Glaube, Hoffnung – Herz, Kreuz, Anker. Wie das Meer uns doch verbindet, es ist der Ursprung unseres Seins. (Wie merkwürdig, auf meinem Schreibtisch in Hamburg lag an dem Tag die Gratis-Ausgabe der ZEIT mit dem Titel „Die Sehnsucht Meer„.)
Suanne Zingel lächelt, ist ernst, sie schaut nach oben Richtung der Bullaugen, als würde sie die Wörter von irgendwoher holen wollen: Wenn das Schicksal unsere Lebensplanung durchkreuzt, dann fragen wir nach einem Grund, einem Sinn. Auch zwischen den Freunden hörte ich es: Warum Sie, warum Astrid? Aber dann befreit die Pastorin es von dieser zwanghaften Kausalität. Es passiert einfach. Der Sturm, die Flut, der Tod. Es ist so. Wie erlösend ist das. Wir nehmen es an, wir werden heiter, weinen und lachen und denken an die Freundin, die uns alle hier zusammengebracht hat.
Astrid hat sich gewünscht, dass sich die Freundinnen aus ihrem Kleiderschrank bedienen, Dinge wählen, die sie mit ihr verbinden. Ich sehe zwischen den Gästen die Waterscape Bluse, den Patchwork Blazer, Astrids Gürtel mit der breiten Silberschnalle. Die neuen Besitzerinnen tragen die Teile mit Stolz und verlängern damit eine Identität in die nächste. Ich habe die Eisbären gewählt. Der Duft der Freundin hängt noch in der Seide.
„Eisbären im Sommer“ hieß die Kollektion, das ist jetzt acht Jahre her. Astrid trug die Neckholder Bluse ständig. Nun hat sie Nicole, die auch eine Seefahrerin in ihrem Herzen ist. Vor einigen Monaten schenkte ich Astrid meine Eisbären Bluse, damit sie sie umhüllt, so lange wie sie auf Erden ist. Wie es sich nun auf meiner Haut anfühlt, weiß ich noch nicht. Erst war sie ich, dann war sie sie, nun ist sie wieder ich. Die Grenzen zwischen Hier und Dort dürfen sich auflösen, wie es die Verstorbene auf ihrer Abschiedskarte schrieb:
„Lasst mir einen Platz in Eurer Mitte, so wie ich ihn im Leben hatte.“
Am Anfang unserer Begegnung stand die Eisbären-Weste. Ich weiß, wer sie bekommen wird. Und so schließt sich der Kreis mit seinen immerwährenden Fortsetzungen …– Wie schön, dass wir auch auf diese Weise trauern können.
PS: Irgendwann gehe ich an Bord und fahre zu den Eisbären. Dann grüße ich sie von Dir, liebe Astrid.
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