Tausche Wanderschuhe gegen Prada-Schlappen. Um es gleich vorweg zu nehmen: Es hat nicht geklappt mit dem Aufstieg auf den Piton des Neiges (frz. Schneegipfel), einem der größten Vulkane der Erde, der vor drei Millionen Jahren die Insel La Réunion schuf. Unwetter die ganze Nacht, die Serpetinen mit den 300 Kurven bis zum Bloc, der Basis, sind zu gefährlich, und für den weiteren Aufstieg bei 2°C  und Regen sind wir nicht ausgestattet. Es ist eine Insel der Extreme, wie die Einheimischen sagen. Tag 8 beginnt mit einem Achselzucken: Tant pis! (Pech gehabt!)

Ein wenig wortkarg sitzen wir bei unserer Tasse Kaffee und grübeln vor uns hin. Vielleicht ist es gut so. Roma braucht ein wenig Zuwendung, es ist nicht so einfach ein Business zu starten, die Administration, die Behörden, die einen inkompetent von A nach B verweisen. Ein paar Tränen fließen. Wir entscheiden uns für den heiteren, bunten Markt von Saint-Paul, der ältesten Siedlung auf der Insel (1642).

Wieviele Farben passen auf eine Person? Ich kann mich nicht sattsehen, würde am liebsten alles kaufen: ein Hemd mit Flamingos, Armreifen aus Bast, kleine Bast-Tiere als Maskottchen, eine Tasche …

Ich kreiere meine eigene Folklore, alles fügt sich für mich mit einer Selbstverständlichkeit zusammen. Fehlt nur noch das Blau des Himmels, das Grün der Pflanzen, vor uns liegt die Bucht, der Hafen, der Ozean. Baden verboten, hier tummeln sich die Haie.

Zurückgekehrt regnet es wieder oder immer noch. Die Nachrichten berichten von überfluteten Straßen, von sturzbachartig Fluten von den Abhängen ins Tal. Gut, dass wir nicht aufgebrochen sind. Roma versucht zum hundersten Mal am Telefon ihre Sache bei der Verwaltung durchzubekommen.

Ich schreibe an Euch … vorbei an den Muscheln, mit krakeliger Schrift durch die „Passagen“. Die Muscheln erhalten Konturen, die wieder mit Muschelstoff ausgefüllt werden, es entstehen kleine Schreibbilder. Bastelstube statt Kletterpartie.

Ansonsten warte ich geduldig, bis sich meine deprimierte Tochter von mir in den Arm nehmen lässt. Nicht so einfach, Mutter „on hold“ zu sein. Sie ist meine alte schöne Seele, die liest und kocht, die probiert und zweifelt, die ihre eigenen Wege finden muss.

Lass uns zu dem nächsten Ort gehen, den die Leute von Saint Leu wirklich „Dit par personne“ nennen. Ich verrate nicht wo. Lavaströme haben ihn geformt, um so Erde, Feuer und Wasser zu etwas Einmaligem zu verbinden.

Wieder ist es eine steile, unwegsame Strecke, die die Klippen hinunter geht, bloß nicht abrutschen und sich an den scharfkantigen Lavafelsen verletzten. Für die Insel braucht es eine gewisse Fitness und eine unerschrockene Beweglichkeit, um an diese Orte von atemberaubender Schönheit zu gelangen.

Ein entschlossener Griff, ein sicherer Tritt, ein kurzes Atemanhalten, wenn sich plötzlich drei riesige Wellen auftürmen und die Bassins überschwemmen, einen mitreißen könnten. Dann ist es wieder friedlich. Ich liebe es, diesen Wechsel von Adrenalin und Ruhe.

Und so geht die Sonne unter und wieder ist ein Tag vorbei. Wir sitzen still und innig beisammen, genießen diese Minuten, trinken einen Schluck Wein aus der Flasche, die wir untereinander herumreichen. Diese Insel der Extreme bringt einen ganz nah zu dem, was wesentlich ist.

Dieses Foto meiner Tochter habe ich besonders gern. Es zeigt so viel von Roma, was sie immer schon besaß. Der Rest wird sich lösen lassen, wie auch immer, wo auch immer. Mein Rat gestern, sie solle sich helfen lassen, auch das verbindet, das macht Freundschaften aus. Was wäre ich heute, ohne die Hilfe aller um mich herum, die mich begleitet haben, die mich gefördert haben, die an mich glaubten …