Gestern hatte uns Annegret Weitkämper-Krug zur Hamburg Premiere von „Daniel Richter“ eingeladen, eine Dokumentation über den deutschen Künstler, die sie mit Gretchen-Film koproduziert hat. Im Frühjahr 2022 hatte sie uns noch auf einem der ersten IT’S A DIENSTAGE von ihrer Arbeit in dem anspruchsvollen Business erzählt. Nun steht auf dem Vorspann: „Prädikat besonderes wertvoll“. Gratulation! Und Gratulation auch zu Deinem heutigen Geburstag. Annegret, lass Dich feiern!
Im Foyer des Passage Kinos, Mönckebergstrasse, einem der altmodischen Filmpaläste, die noch das Besondere des Kinoabends feiern, drängt sich das kunstbeflissene „Who is Who?“ der Hamburger Gesellschaft. Gesichter, die ich lange nicht gesehen habe, alte Bekannte, Galeristen, der Sammler Harald Falckenberg, der selbst seinen Beitrag zu der Dokumentation leistete. Es fühlt sich schon jetzt nach Champagner-Laune an.
In unserer Mitte Jeannine Platz, Kalligraphin und Künstlerin
Kurz darauf sitzen wir in der ersten Reihe, den Kopf in den Nacken gelegt, das Kino ist voll, man bietet uns alternativ Plätze hinten an, aber warum nicht mal diese Perspektive wählen, verzerrt, ein wenig surreal. Auch Daniel Richter steht manchmal über Kopf vor seinen Bildern.
Der Regisseur Pepe Dankart (Oscarpreisträger, 1994, Kurzfilm „Die Schwarzfahrer“) hat den Künstler über drei Jahre lang begleitet, ist mit seinem Kamerateam der nicht sichtbare Beobachter auf dem Sofa, neben und vor der Leinwand im Atelier, folgt ihm auf Vernissagen, in die Auktionshäuser, ist der stumme Zeuge der Gespräche. Seine provokante suggestive Eingangsfrage: „Warum manchen wir diesen Film?“
Richters Antwort: „Wenn du willst, dass das diskutierbar bleibt, was du machst, also überprüfbar, ist es gut, auch einen Film zu haben. (…) Wenn man das gut macht, entsteht ein Bild, das sich nicht nur um mich dreht, sondern um die Frage, was kann eine bestimmte Form von Kunst und in welchen Ebenen findet das statt.“
Auf seiner Schulter sitzt ein Papagei, die übergroße Leinwand ist grundiert, andere stehen an der Seite, trocknen, warten. Gearbeitet wird an mehreren Bildern gleichzeitig. Richter setzt an, tritt zurück, die Intuition leitet seinen Pinselstrich, rot, gelb, türkis … Wohin es ihn führt, weiß er noch nicht. Seine Malerei ist ein kontinuierlicher Verdichtungsprozess. „Ist das alles?“, scheint sie ihn ständig zuzurufen.
Wieder eine Pause, Musik. Als junger Mann entwarf er Plattencovers für Punkbands, nun gehört er zum Maler-Establishment und verweigert sich doch dazugehörigen. Nicht so einfach. Er hätte sich nie denken können, davon einmal gut leben zu können. Wie erhält man sich als Rebell der Gegenkultur, als distanzierter Freigeist, der permanent abspuhlt und „labert“, wie sein Freund Jonathan Meese erzählt? Ich liebe diese Passage.
Jonathan Meese über seinen Freund Daniel Richter.
Galerist*innen reißen sich um ihn, müssen um Bilder betteln. New Yorker Ausstellung, Daniel Ropac in Paris, Austern und Champagner bei La Coupole. Und dann haut er es wieder raus: „Das Bild ist kacke“. Wieder neu anfangen, Strich für Strich, zurücktreten, sich ärgern, frisch beginnen mit Postkarten aus dem Krieg, Strukturen erkennen, die in unser Jetzt reichen. – Der Film ist stark.
Mir gefallen auch die Auszüge, wo es um sein Buch geht, die kunstgeschichtliche Deutung mit hineinspielt. Er „labert“ eben doch nicht nur, sondern ist sorgfältig in seinen Gedanken und Formulierungen, ist ikonographisch unterwegs, liest viel.
Meine einzige Kritik: Schöne Bilder verleiten, verführen zu einer überbordenden Ausführlichkeit. Mein Doktorvater bläute mir ständig ein: „Kill your darlings!“ Hier hätten auch ein paar Kürzungen gutgetan, ein paar weniger Pinselübungen und Wischungen mit dem Handrücken. Wir sind doch schon längst im Prozess drin, stehen hinter Daniels breitem Rücken, der aus meiner Froschperspektive noch breiter ist.
Mein Prädikat: Sehenswert. Nicht unbedingt aus der ersten Reihe, sondern so wie die Freundin heute Nacht schrieb: „Ich glaub, ich schau den Film bald noch einmal – dann von ganz hinten.“ Gehen wir erneut aus verschiedenen Blickwinkeln der Frage nach, was Malerei alles sein kann. Ein Dokument haben wir jetzt dazu.
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