Bücher finden einen, begleiten einen, passen überraschend in die jeweilige Lebenssituation, wenn man instinktiv nach ihnen greift. Eine Weile schon liegen die Briefe des berühmten englischen Reiseschriftstellers Bruce Chatwin (1941 – 1989) bei mir im Regal, ungelesen. Als ich meinen kleinen Hin-und-Her-Koffer in Hamburg packte für den Jahreswechsel auf Sylt, steckte ich das Buch geschwind ein und begann zu lesen …
Nun ist es wieder in meinem Koffer, zurück auf dem Weg nach Hamburg in die Poolstrasse 30, an meinen dortigen Schreibtisch mit Melle im Atelier.
Briefe sind immer besonders, sie sind privat, nicht geschliffen für die Öffentlichkeit, sie zeigen die intime Seite des Schreibers oder der Schreiberin, die Verletzlichkeit, die Hinwendung, das Erzählenswerte, genauso wie das Nebensächliche. Bei Chatwin beginnt es mit seinen Jugendjahren im Internat, er schreibt an seine Mutter, seinen Vater, den Bruder. Heute wären es Textmessages, flüchtig und nicht aufbewahrt für eine Nachwelt.
Dann folgt seine Zeit bei Sotheby’s als angehender Experte für Altertum und Antiquitäten, die ihn auf Reisen schicken nach New York, Ägypten, Griechenland. Es folgt das Studium der Archäologie in Edinburgh, wieder Reisen: Österreich, Polen, Balkan Zwei Dinge ziehen sich schon hier wie ein roter Faden durch die Korrespondenzen: seine Rastlosigkeit und sein Bedürfnis, sich zu vermitteln. „Ich habe einen Drang zu wandern und einen Drang zurückzukehren – ein Heimkehrvermögen wie ein Zugvogel.“ schreibt er 1969 an seinen Verleger.
Ich wollte eigentlich erst über das Buch schreiben, wenn ich es komplett gelesen habe. Dies hier bleibt also nur eine erste Ankündigung. Aber als ich gestern noch den Vollmond am Morgen über dem Meer sah und heute mit dem Bus durch das regenschmutzige Hamburg fuhr, dachte ich mir, man könnte jetzt eine Dosis Bruce Chatwin gebrauchen, dem Nomaden, der der Zivilisation entflieht mit der Sehnsucht nach dem Paradies.
Heute Nacht lese ich weiter oben im Tempel von 1844, der geschichtsträchtigen Ruine mit dem Bett mittendrin, der Badewanne und der rauhen Patina der Wände. Ich lasse mich mitreißen von Chatwins Briefen aus Afghanistan, 1969, Istanbul 1970, dem Orientexpress … .
Bruce Chatwin. Der Nomande. Briefe 1948 – 1988, Fischer Klassik 2018.
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