Vor einigen Wochen habe ich vollmündig angekündigt, dieses Buch vorzustellen: „Die Pest“ von Albert Camus, 1947 erschienen, und seit einiger Zeit aus gegebenen Anlass ausverkauft. Ich habe es gelesen und wieder gelesen, immer mehr Sätze wurden rot markiert. Ich habe im Bett gelegen und es umschlungen und dabei geweint. Ich habe versucht, es zu verstehen in seiner tiefen Bedeutung, Absatz für Absatz. Jede einzelne Zeile trägt in sich so viel Wissen um diese Welt und unser Menschsein, dass man gezwungen ist, sehr langsam zu lesen, noch einmal ein paar Seiten zurück zu blättern, um den Sinn des Geschilderten wenigstens zu erspüren. Es ist ein großes Buch, eines der wichtigsten für mich. Und wenn ich mich jetzt vorsichtig nähere, dann hat es keineswegs den Anspruch, ihm gerecht zu werden.

Albert Camus (1913 – 1960), Journalist, Schriftsteller, Denker.

Es beginnt mit den „seltsamen“ Ereignissen 194′ in der Stadt Oran, einer französische Präfektur an der algerischen Küste. Ein Ort, der hässlich ist, der dem Meer den Rücken zukehrt, der keine Tauben, keine Gärten und keine Bäume besitzt. Erst sind es die Ratten, die überall auftauchen, zunächst nur eine, wenige, über die der Arzt Doktor Bernard Rieux im Foyer seiner Praxis stolpert. Die Tiere verenden, sie platzen auf, verspritzen ihr Blut ,und dann sind es die ersten Kranken, die binnen weniger Stunden auf qualvolle Weise sterben. Ist es die Pest, kann das sein, im 20. Jahrhundert? Zweifel bei den Kollegen, den Stadträten. In der Zwischenzeit feiern die Menschen den Frühling auf den Straßen, in den Cafés und Restaurants. Wer will sich unbeliebt machen und das fröhliche Treiben stören?

Im Lehrbuch stehen die Symptome: „Der Puls wird sehr schwach, und der Tod tritt bei irgendeiner geringen Bewegung ein. Ja, am Ende von all dem hing man an einem Faden, und drei Viertel der Leute, so die genauen Zahlen, waren ungeduldig genug, um diese unmerkliche Bewegung zu machen, die sie in den Tod stürzte.“ Es wird die Quarantäne ausgerufen, die Stadt abgeriegelt, die Bewohner ziehen sich ängstlich zurück, „die Pest machte sie untätig, zwang sie dazu, sich in ihrer trostlosen Stadt im Kreis zu drehen, Tag um Tag den trügerischen Spielen der Erinnerung ausgeliefert.“ Das erst Mal wird der Begriff „Exil“ genannt.

Ich springe ein wenig, es taucht ein zweite wichtige Person auf: Tarrou, der schwergewichtige geheimnisvolle Bonvivant, der dem Arzt seine Hilfe anbietet, und zum Chronisten wird mit seinen Aufzeichnungen und Fragen über die Welt, die sich aufteilt in die „Plagen und Opfer“. Wie zeigt sich ein menschliches Handel in Zeiten der Katastrophe?

„Schließlich …(…)“ so der Arzt Rieux, „ist es etwas, was ein Mann wie sie verstehen kann, nicht wahr, aber da die Weltordnung durch den Tod bestimmt wird, ist es für Gott vielleicht besser, dass man nicht an ihn glaubt und mit aller Kraft gegen den Tod ankämpft, ohne die Augen zu diesem Himmel zu heben, in dem er schweigt.“ – Wie füllt man dieses Vakuum, wie begegnet mit den „Plagen“? – „Das ist eine Idee, über die man lachen kann, aber die einzige Art, gegen die Pest anzukämpfen, ist der Anstand.“

Tarrou und Doktor Rieux werden Freunde im Kampf gegen das Sterben, Seite an Seite, ohne viel zu reden. Nur wenige Momente gibt es, sich zu offenbaren und anzuvertrauen, wie an dem Abend im Sommer auf der Dachterrasse mit dem Blick auf den versperrten Hafen und das Meer. Tarrou erzählt seine Geschichte: „…ich habe gelernt, dass wir alle im Zustand der Pest sind, und ich habe den Frieden verloren. (…) Das Übrige, die Gesundheit, die Unversehrtheit, die Reinheit, wenn sie so wollen, ist eine Folge des Willens, und zwar eines Willens, der nie nachlassen darf.“

 

Dieser Kampf gehen die Zerstreutheit ist anstrengend und deswegen sind alle müde, übermüde. Es ist eine sehr schwierige Passage, die immer und immer wieder gelesen werden will, bis sie sich erklärt: „Nach einem Schweigen richtete sich der Arzt etwas auf und fragte, ob Tarrou eine Vorstellung von dem Weg habe, den man einschlagen müsse, um zu Frieden zu kommen.“

„Ja, Mitgefühl.“