Irgendwo stand dieser Begriff, den ich für die beiden nächsten Tage meiner Peru-Reise zum Titel gewählt habe, die Rede ist von Alpaka. Und wie so oft auf meinen Unternehmungen, muss ich schmunzelnd bekennen: Ich habe keine Ahnung. Meine spekulativen Annahmen erspare ich Euch, sie füllen ein paar amüsante Abenderzählungen. Meine Devise: Schlauer werden durch Zuhören. Der Flug geht von Lima nach Arequipa auf 3.200m Höhe, unter mir nach dem Start das Häuser-Meer der 10 Millionen Hauptstadt.

Kurz vor der Abreise hat mir Annette Lachmann, die Schamanin, eine kleine Ampulle Coca Globolis mitgegeben. Unerlässlich, wie ich feststellen muss, um mich schnell an die Höhe zu gewöhnen, ohne Kreislaufbeschwerden oder Kopfschmerzen. Bei diesem enggetakteten Programm kann ich mir das nicht leisten.

Am Flughafen von Arequipa holen mich Xavier und Daniella ab. Er ist Strick-Produzent und kooperiert eng mit der Aymara Women’s Vereinigung. Daniella ist von Promotion Peru. Quer durch den Verkehr geht es mit seinem scheppernden Auto zu Mitchell, dem größten Alpaka Luxus Produzenten. Und ich glaube, ich sehe meine ersten Alpakas.

Wie süß. 3,5 Millionen gibt es von ihnen in Peru, 80% des Weltbestandes. Die Zahl habe ich mir gemerkt, und so wirkt es nicht, als hätte ich 0,0 Ahnung. Sie gehören zu der Gattung der Kamele, man nennt sie auch “Neuweltkameliden”. Kleiner als die Lamas, bilden sie ihre eigene Familie mit den Vikunjas, den Luxustieren, aus deren Wolle ein Poncho schon mal € 12. – 18.000€ kosten kann. Xavier erklärt mir, dass man zwei Typen unterscheidet, das Huacaya-Alpaka mit seinem gleichmäßig gekräuselten Fell und das Suri-Alpaka mit seinen langen “Schiller”-Locken. Tja, da staunt Ihr, was ich alles im Turbogang lerne.

Die Alpaka Naturfarben

Man drückt mir ein neues Büschel Kraut in die Hand, schon steht der smarte Manager samt Assistenten von Mitchell vor mir. Ich werde in ihren Konferenzraum geleitet, in dem sonst die Herren von Loro Piana & Co sitzen. Nun gut, Showtime, neben mir liegt auf dem polierten Tisch noch das Bündel Grünzeug. Ich muss lachen, dann tauschen wir uns im geschliffenen Englisch aus.

Nein, ich bin wirklich ein Mini-Unternehmen. Mit zwei Fingern zeige ich die mikroskopische Größe von Roma e Toska. Aber wir machen Luxus mit einer Geschichte dahinter. Genauso möchte ich es hier starten. Was sind die Garne, mit denen wir beispielsweise handgestrickte Pullover fertigen könnten? Kleinserien oder gar One-of-a-Kind, etwas, das man nicht in den internationalen Katalogen findet. Strickproben und Garnkarten geben sie mir mit, man weiß ja nie. Auch die Kleinen können groß sein!

Quechua Frau webt auf alte Weise mit Alpaka Garnen. Auch sie im Sitzen mit dem Webrahmen um die Hüften gebunden.

Bianciella (nicht im Bild) übernimmt und führt mich durch die museale Präsentation der 1931 gegründeten Firma. Ihre Passion schwappt sofort auf mich über. Einen Tag später werde ich es bei INKA Tops, ebenfalls in Arequipa, in der hochmodernen Produktion wiedererkennen.

Natürlich sind die Maschinen längst andere, füllen riesige Hallen, aber (!) die wichtigen ersten Schritte werden mit der Hand gemacht und das ausschließlich von Frauen, denn nur sie besitzen die Geduld, wie mir erklärt wird, um mit großer Sorgfalt tag-ein-tag-aus die Qualitäten zu sortieren. Ich werde die Fabrikations-Prozesse von damals und heute in Bildern hintereinanderstellen.

Was nach dem Sortieren folgt, kann man mit unserem Haarewaschen vergleichen (da kenn ich mich aus): Als Erstes wird die Wolle gekämmt und gewaschen. Dafür gibt es mittlerweile eine ganze Maschinenstraße, die mit dem Pressen und „Blow Dry“ endet.

Es fühlt sich schon fluffig und weich an, aber noch sind Rückstände von Stroh und Schmutz enthalten, weitere Waschvorgänge sind nötig. Danach kommt die “Kurspühlung” mit zusätzlichem Fett, denn das Waschen hat die Fasern rau und trocken gemacht.

Irgendwann sind die Wollbänder so schwerelos leicht und weich, als hielte man die Zaubermähne des Einhorns in der Hand. Im nächsten Schritt werden die einzelnen Stränge miteinander verdreht und verbunden. So entstehen unterschiedliche Qualitäten wie Alpaka-Seide oder Melangen in weiß-braun-grau.

Gefärbt wird woanders, vielleicht genauso wie früher mit Naturprodukten. Im Museum von Mitchell sind die Zutaten ausgestellt und hängen Exponate der Inka an den Wänden, die selbst nach Jahrhunderten nicht ausgeblichen sind.

Webmuster aus der Inka-Zeit, teilweise als Minituren, die für uns handwerklich nicht vorstellbar sind.

Über uns wird permanent Feuchtigkeit gesprüht. Ich atme flach bei dieser Hitze. Das meiste habe ich verstanden, dann geht es weiter zur Inka Top Spinnerei. Einmal ans andere Ende der Stadt, Xaviers Auto hat den Geist aufgegeben, wir nehmen ein klappriges Taxi. Staubig, heiß, Abgase. Meine Kondition ist ganz schön gefordert, man bedenke zusätzlich die Höhe.

Spinnmaschine zu Beginn des 20. Jahrhunderts und heute.

In den Hallen der Spinnerei ist es noch heißer und zudem brüllend laut. Wir bekommen Ohrstöpsel und mein rechts halbtaubes Öhrli gibt sein Bestes, um zu verstehen. Für den Laien unvorstellbar, wie aus den breiten Wollsträngen nun dünne Fäden gesponnen werden: a.) klassisch als Supreme, Alpaka oder Baby Alpaka (dafür dürfen die Jungtiere nicht älter als fünf Jahre sein) und b.) als Fantasie-Garne, was noch viel komplizierter aussieht.

Ehrlich, die meiste Zeit nicke ich und tue so, als ob ich es verstehe. Meine englische Übersetzerin strauchelt genauso, sie kann mir auch nicht mehr sagen, als ich brockenweise selbst kapiere. Aber die Begeisterung der technischen Verantwortlichen ist einfach umwerfend und so charmant. Alpaka ist ihr Leben, das spüre ich in jeder ihrer Erklärungen.

Jeder Sack, jede Kiste erhält den Stempel von Mitchell & Cía, das gilt bis heute.

Am Ende der beiden Tage verstehe ich eine Menge mehr von Alpaka, bin fasziniert von diesem Material, von seiner robusten Weichheit, wie es “lebt” und sich der jeweiligen Temperatur anpasst, von der Hingabe der Menschen in diesem aufwendigen Prozess von der geschorenen Wolle bis zum fertigen Garn.

Wie sehr aber Alpaka die Geschichte dieses Landes erzählt, werde ich erst einen Tag später erfahren auf der Fahrt zum Culca Canyon und dem Hochland der Vicunjas. Davon ein nächstes Mal.