Spontan verschiebe ich die ursprüngliche Überraschung für Adentskalender No.16 ins nächste Türchen und schaffe Platz für ein alltägliches Wunder, geklaut heute früh exklusiv für Euch. Die Spannung steigt, die Auflösung gibt’s zum Schluss … Es beginnt mit meiner neuen Sachlichkeit, die ich nachfolgend etwas prosaisch zum Besten gebe …
Seit den frühen Morgenstunden liege ich im Bett und schreibe, es geht um dieses und jenes, Tizian taucht auch darin auf. Dann kurz nach sieben mein Mitbewohner aus dem Zimmer am anderen Ende der Wohnung, ungefähr, sachlich geschätzt, zehn Meter entfernt: „Was hälst Du davon?“ – Vorsorglich rufe ich zurück: „Ich bin dafür, sage ja!“ Herrlich absurd.
Dann höre ich ihn nebenan in der Küche laut proklamieren, das berühmte Gedicht der Neuen Sachlichkeit von Erich Kästner (1928). Es klingt aktuell und irgendwie taurig, aber auch komisch zugleich, so in der Küche. Thomas übt es auswendig, ich souffliere.
Christian Schad, 1927
Sachliche Romanze
Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen: sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.
Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wußten nicht weiter.
Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.
Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagte, es wäre schon Viertel nach Vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.
Sie gingen ins kleinste Cafe am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort.
Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.
Wenig später radele ich durch das schmuddelige pitoreske Ottensen, durch St. Pauli. Dem Nachbarn von unten habe ich durch den Nieselregen noch schnell zugerufen, dass es hinter den Wolken hell ist. Er lächelt, glaubt mir. Stimmt doch, sachlich gesehen.
Und dann sehe ich die erst Rose. Eine Rose im Dezember-Regen. Ich klettere über den Zaun und stehle sie für Euch – als Foto. Wie rot und schön und tapfer sie da auf ihrem langen dünnen Stengel balanciert, zwischen all der tropfenden Hässlichkeit.
Und noch eine. Ein kleines Loch habe ich in meine Strumpfhose gerissen, nicht das erste. Wieder mache ich ein Bild. Und dann sehe ich plötzlich überall Rosen, manche verständlicher Weise etwas schrumpelig, wir habe Ende des Jahres. Andere noch ganz ansehnlich.
Ein allzu helles Blattgrün leuchtet an einem abgestellten Fahrrad. Es hat sich aus dem Asphalt herausgeschummelt. Ich denke an mein Thema 2011: The Beauty of the Ordinary. Toskas Lieblingskollektion. Ansonsten ein Flopp.
Also, was verbirgt sich nun hinter diesem Türchen No. 16? Das Bild von einer Rose, das ihr an die Liebsten weiterschicken könnt. Und dann verabredet Euch in einem Café, rührt in den Tassen und erzählt Euch von Schiffen, denen ihr zugewunken habt, von den kleinen Dingen so nebenbei, im Augenwinkel, die das Leben, ganz sachlich notiert, so besonders machen.
😃😃😃 bin ich doch vorgestern erst mit diesem Gedicht, als Lied von Herman van Veen, im Ohr aufgewacht und hatte den Ohrwurm für den Vormittag…… Liebe Grüße !,
We loved that 2011 collection, too! I can’t attach a picture here but I’ll email it to you!