Jeder Kreative hat so seine Marotten bevor es richtig losgeht: die einen beginnen manisch aufzuräumen, die anderen kochen von morgens bis abends, die nächsten spielen endlos Klavier, verstecken ich vor den Menschen, hungern, essen, sprechen mit sich selbst … Ich gehöre zu den „Easy-Going“ und entferne mit großer innerer Ruhe und Vorfreude die Pinboard Überreste von der Vorgänger Kollektion, um mich genussvoll dem Horror Vacui hinzugeben. Manchmal bleibt ein kleines Foto von Ernst Hemingway hängen oder von Patti Smith, ansonsten nur die etwas schmutzige Wand mit ein paar alten Klebeband-Markierungen, bereit für den Neuanfang. Die nächsten Wochen füllt sich die Fläche mit Stoffproben, Farbmustern, Skizzen, Fotos … .

Atelier Roma e Toska

Herrlich! Ich bin durch und durch überzeugt, dass die kommende Saison die Schönste, Tollste, Beste ever wird. Die Schneiderin ist gespannt, die Schnittdirektrice ist gespannt und der Rest der Familie wartet einfach ein wenig indifferent ab. Und plötzlich, gänzlich unerwartet und unverständlich, wie beim Marathon-Lauf, droht der Hammer, das Dead-end, die Krise. Nichts passt zusammen, alles sieht falsch aus, Schnitte funktionieren nicht mit den Stoffen, überhaupt, wo sind die Stoffe? Die einen kommen zu spät, die anderen gar nicht, die Knöpfen hängen irgendwo in Nepal fest, da Aufständische die Fabrik besetzt haben …

DSCN6306.JPG

Die Rolle mit den eingewebten ersten beiden Strophen vom Nibelungen Lied (Middle Ages Kollektion, 2010/11) kommt endlich und sieht enttäuschend aus. Halb ausgerollt liegt das außergewöhnliche Material vor mir auf dem Boden, und ich laufe, trample, schlurfe aggressiv, scheinbar achtlos drüber.

DSCN0598.JPG

Zwischendurch liege ich im Bett, stiere aus dem Fenster, spiele Mahjong. Yvonne die Schneiderin meint, dieser Zustand wäre über Wochen so gegangen, kann ich mir nicht vorstellen, oder?! Die „Into the Woods“ Kollektion präsentierte sich unerwartet düster grün – und grün kauft bekanntlich kaum einer. Der Tüll ist instabil, zu delikat und damit nicht verwendbar, der Mantel wollte als A-Form nicht fallen, dann versuchten wir die O-Linie, die H-Linie, die A und H Linie. Toska meint, die letzte Kollektion wäre viel besser, mein Mann meldet Zweifel an und schlägt exzentrische Knotungen als Lösung vor. Roma schickt aus dem fernen Toulouse Zitate der großen Philosophen …

Vintage Roma e Toska

Das größte Drama war die „Journey to the Moon“ Kollektion Herbst-Winter 2014/15. Wir sprachen intern nur noch von „Apollo 13“: die Printstoffe mit der Mondlandung wurden nicht fertig, der Bouclé in schwarz-grau-weiß gefiel mir plötzlich nicht mehr, nichts machte einen Sinn. Aus Verzweiflung erhielt jedes Teil zu viel Bordüren. (Wie Chanel sagte: Scheherazade kann jeder, aber eine richtige Form ist schwierig.) Weihnachten, wenn eine Kollektion eigentlich fertig sein sollte, gab es noch nichts. „Houston, wir haben ein Problem.“ Abwechselnd lag ich im Bett oder stopfte mir am Schreibtisch Nutella-Brötchen rein. Die Feiertage über war ich geistesabwesend, ein Schatten meiner selbst. Dann der Befreiungsschlag mit Neujahr: Alles in die Tonne und neu starten. Die Stoffe neu verstehen lernen und dann wird sich schon fügen, was nicht zusammen gehört (frei nach Shakespeare).

Journey to the moon

Am Abflugtag nach Mailand zur Präsentation vor den wichtigsten russischen Einkäufern wurde noch genäht, ich hatte eine Monstererkältung, abends hingen dann die Teile im Showroom und morgens kamen die ersten Kundinnen. Während ich den Kaffee holte, machten sie ihre Auswahl: Alles! Wie alles? – Ja, es wäre die besten Kollektion überhaupt und sie würden alles ordern. Unter Vorwand verließ in den Raum und musste erst einmal ein paar Tränen kullern lassen. Wie Roma schon orakelt hatte: Apollo 13 wurde die kommerziell erfolgreichste Mission der NASA.

Tsum Moskau

Dass dann auf dem Höhepunkt der Ukraine Krise die Russen plötzlich ein Problem mit mit der USA Flagge auf dem Mond hatten, ist wieder eine andere Story …

Mondlandung Roma e Toska