In dem wunderschönen Film von Bertolucci „Himmel über der Wüste“ sagt der Erzähler über das Paar, dass sie vergessen haben, die Zeit zu zählen. Stimmt, so ist es auch uns ergangen, die Jahre haben sich angefüllt mit all den verrückten Erlebnissen, die sich aneinanderreihten, dass wir ständig unseren Hochzeitstag darüber vergessen haben. Er fiel uns meist erst ein zwei Tage später ein, wenn wir überlegten, was unsere Tochter Roma (in ein paar Tagen 25) zum Geburtstag bekommen sollte.
Man kann es keine „Notheirat“ nennen, was wir da vor fünfundzwanzig Jahren verabredet haben. Aber als ich schwanger wurde, meinte mein Mann salopp, dass schon sein Onkel Heinrich gesagt hätte, dass man die Frauen heiraten soll, wenn man sieht warum. Es könnte kaum romantischer sein, so ein Heiratsantrag, der sich aristokratisch geziemt verdreht und versteckt, als Messalliance zwischen dem jüngsten Spross aus altem polnischen Hochadel und der promovierten Kunsthistorikerin und Handwerkstochter aus dem Hamburger Vorort.
Entsprechend habe ich den Ring durch den Raum gepfeffert und mich dem Eheantrag verweigert. So lange bis der Bauch dick und dicker wurde, der Graf feststellte, dass er als Pole in Polen noch nicht geschieden war (damit fiel die dreitägige Romantik-Hochzeit auf dem Lande bei Warschau ins Wasser), und das ungeborene Baby drohte ein „Bastard“ zu werden, der nicht im Adelsregister notiert wird.
Es gab also das Datum, der 10. August 1994, beim Standesamt Grindelhof, das komplett eingerüstet war (super fotogen), es gab meinen Mann, klar, mich hochschwanger, zwei Trauzeugen, die sich spontan ineinander verliebten, ein Hund, der mindestens so aufgeregt war wie ich, einen Standesbeamten, der schnell wieder nach Hause wollte, und so wurde es vollzogen. Ich habe mich bei dem Namen TYSZKIEWICZ nicht verschrieben und wurde damit Frau Tyszkiewicz oder Gräfin Tyszkiewicz, zur rechten Hand und nicht zur linken. Das Essen danach war wunderschön, in unserem Loft vollzogen anschließend die Trauzeugen vor uns die Ehe (diskret im Nebenraum) und der Besuch beim Gynäkologen ergab, dass nun bald die Geburt bevorstünde. C’est ça! In guten wie in schlechten Zeiten.
Und so waren sie, die Zeiten, wunderschön, anstrengend, witzig, besonders, nie spießig, ob ohne Geld im Yuppie-Loft mit Kaviar und Blick über die Speicherstadt oder beengt im Appartement mit Panorama über die Alster und einer riesigen Matratze, die für Kundengespräche immer im Badezimmer verschwinden musste (abendfüllend die Geschichten dazu), mit Baby im Konferenzraum, ohne Baby im Käfer-Cabrio nachts nach Paris, mit geklauten Bademänteln im Savoy-Hotel in Moskau, im Elbschlösschen ohne Miete zu zahlen, im Herrenhaus jenseits von Hamburg mit Miete zu zahlen, im Loft ohne Heizung oder nun zwischen Alster und Nordsee. Mein Mann ist der Sternekoch und Wohlfühl-Manger, geliebt von den Frauen rundherum, und ich bin im Dauereinsatz von 6:00 Uhr früh bis unendlich.
Der Tag gestern wäre fast vergessen worden, so wie die meisten der 24 Hochzeitstage davor. Am 10. Hochzeitstag saß ich im Zug nach Berlin und bekam die Erinnerung per SMS. Am 12. Hochzeitstag bzw. abends zuvor, stellten wir fest, dass am 10. August 1944 die Nazis den Großvater meines Mannes erschossen hatten. Also kein so gutes Datum – oder doch, so ein „Schicksalstag“ wie ihn die Geschichte nennt!?
Als ich gestern früh morgens aufstand, um an den Schreibtisch zu gehen für meine vielfältigen literarischen Klimpereien, da stand da dieses hässliche Silberhochzeitsservice und ein Blumenstrauß am Fenster, wo ich sonst versonnen meinen Blick hinrauswerfe. Dazu die silbernen Schleifen überall, und auch Hund Sam, der sonst nur rotgeschleift ist, trug Silber. Sah alles ein wenig nach Kondolenz aus und so habe ich, wie so oft in unserem Eheleben, kurz Hand angelegt, Sam befreit, den Blumenstrauß versetzt und das Geschirr vor der Tür zerschmissen. Scherben bringen Glück! Das fanden wir beide auch nach kleiner Diskussion, und dann haben wir draußen gefrühstückt mit dem schönsten Rührei von der Welt und der besten Sonne von der Insel. (Das Rezept für Eheleute und Nicht-Eheleute gibt es hier bei Roma e Toska in Kampen, Alte Dorfstrasse 2. Heute und morgen und übermorgen …)
Schreibe einen Kommentar