Ein Highlight aus New York hat die Kulturjournalistin Christiane von Korff noch für uns aufgespart: Das Abendessen mit dem Bestseller Autor Louis Begley und seiner Frau Anka Muhlstein. Berühmt geworden war Begley, polnischer Jude und Überlebender des Holocaust, mit seinem Roman „Lügen in Zeiten des Krieges“, 1991 in New York erschienen und 1994 erstmals vom Suhrkamp Verlag in deutscher Übersetzung veröffentlicht.

Eine Geschichte kommt mir noch in den Sinn, bevor ich Christiane zu Wort kommen lasse. Etwas, dass mich angesichts der tiefen Wunden, die Polen mit den Gräueln des Zweiten Weltkrieges zugefügt wurden, ein Leben lang begleiten wird. Als ich meinen Mann, Krzysztof Graf Tyszkiewicz, gerade kennengelernt hatte, fuhren wir gemeinsam nach Warschau zu seiner Familie. Wir besuchten das Haus seines Onkels Garber Rachowitz und dessen Frau Hannia, ein Künstlerpaar, das sich nach den Kriegswirren in Paris wiederfand (allein das ist schon eine eigene Geschichte).

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Abb. Garber Rachowitz und seine Frau Hannia, Warschau 1966.

Und dann erzählten sie, wie die Mutter Jaga Piotrowska in diesem Haus jüdische Kinder versteckt hielt. Die Gestapo hatte davon erfahren, wusste jedoch nur die Straße. Von beiden Seiten der Lekarska durchsuchten sie Haus für Haus, Wohnung für Wohnung und trafen sich schließlich direkt vor der Nr.9. Jede Gruppe dachte, die andere hätte auch dieses Gebäude schon inspiziert, und so zogen sie ab. Alle Bewohner überlebten den Krieg. Still saß ich da, im Kreis der Familie, die Nachkriegsdeutsche, die mit so viel Liebe und Zuwendung begrüßt wurde. Es berührte mich zutiefst. – Hier nun der Bericht von Christiane von Korff:

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Ein Abend in New York: Die Begleys

Ein Gespräch mit dem Schriftstellerpaar Louis Begley und Anka Muhlstein

von Christiane von Korff

An meinem letzten Abend in New York habe ich den großen Schriftsteller Louis Begley und seine Frau Anka Muhlstein getroffen. Sie haben mich eingeladen in ihr Stammlokal, ein kleines italienisches Restaurant an der vornehmen Upper East Side. Das Schriftstellerpaar wohnt um die Ecke. Beide umarmen mich herzlich, wir haben uns vor vier Jahren kennengelernt, ich war drei Tage in ihrem Sommerhaus auf Long Island, um drei Interviews mit Louis zu führen, eins für Der Spiegel Kultur, ein Weiteres für das Magazin VIVA und ein drittes Interview vor der Kamera für ein halbstündiges Video für den Suhrkamp Verlag.

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Obwohl ich das Glück habe, viele großartige Schriftsteller zu interviewen, muss ich gestehen, dass ich vor meiner ersten Begegnung mit Louis und mit seiner Frau Anka, Historikerin und mit dem Prix Goncourt ausgezeichnete Autorin, ziemlich aufgeregt war.

Anna Mühlstein

Zwei Edelfedern, zwei Intellektuelle – Begleys preisgekrönte Romane vergleichen Kritiker mit Proust – und Begleys Biographie, die mich als Deutsche erschüttert. Doch schon bei meinem Anruf, um den Weg zu erfragen – ihr Haus in Sagaponac liegt sehr versteckt, und ich hatte mich natürlich auf den holprigen Waldwegen verfahren, nahm mir Ankas sympathisches Lachen meine Beklommenheit. Und als Louis Begley, ein kleiner, schmaler Herr mit seinem feinen, gewinnenden Lächeln auf mich zukam und begrüßte, löste sich mein Kloß im Magen vollends auf.

Louis und Anka im Haus SagaponacBegley Kinder Enkelkinder

In ihrem Haus fühlte ich mich gleich wie zuhause: Auf den Couchtischen im lichtdurchfluteten Wohnzimmer stapelten sich Bücher, in einer Ecke lagen Kinderbücher und Legosteine für die Enkelkinder, an den Wänden hing abstrakte Kunst, Acryl-Bilder, die Begleys Sohn Peter gemalt hat. Während ich die Fotos seiner zwei Söhne, seiner Tochter, seiner Enkelkinder an der Wand im Flur betrachtete, ging mir durch den Kopf: Diese Menschen wären aufgrund des Nazi-Rassen-Wahns und Irrsinns nicht geboren worden.

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Begleys Großeltern väterlicherseits wurden von den Nazis  ermordet. Sein Vater überlebte als Arzt der russischen Armee. Louis selbst und seine Mutter entkamen nur knapp dem Genozid, indem sie sich, als katholische Polen getarnt, in Kellern versteckten. Louis Begley hat seine traumatischen Kindheitserfahrungen verarbeitet in seinem Weltbestseller „Lügen in Zeiten des Krieges“. Der Roman erzählt die Geschichte des polnischen Jungen Maciek, der nur knapp dem Holocaust entkommt.

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Abb: Louis Begley im Alter von vier Jahren mit seiner Familie in Polen, 1938.

Bei dem Italiener Due in New York rät mir Anka als Vorspeise Artischocken zu wählen, als Hauptspeise entscheide ich mich für die Spaghetti alle vongole. Kürzlich ist Louis Begley 85 Jahre alt geworden, das Alter sieht man ihm nicht an, was sicherlich auch an seiner regen Schaffenskraft als Autor liegt. Seinen Geburtstag nahmen Feuilletons zum Anlass, dem Schriftsteller mit elogenhaften Porträts zu gratulieren. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung bat ihn eigens um einen Essay, in dem er selbst zur Feder griff.

Louis Begley FAZ

Titel „Über Sex“. Untertitel: „Hätten manche Szenen in meinen Romanen weniger explizit sein können? Ja – wenn ein anderer sie geschrieben hätte.“ In unseren Gesprächen auf Long Island hatte er mir gesagt: „Ich denke, es gibt zwei Kräfte, die mich den größten Teil meines Lebens angetrieben haben. Eine davon ist sorgsam kaschierter Ehrgeiz, immer der Beste zu sein, in dem was ich mache. Die andere Antriebskraft ist Sex.“

1947, Louis Begley war 13, als er mit seinen Eltern in die USA emigrierte. Flucht und Immigration, ein großes Thema, das nicht nur in den USA die Gesellschaft spaltet, ist eins unserer Sujets an diesem Abend in New York. Vor unserem Treffen hatte ich in der New York Times Book Review eine Rezension gelesen, die mir Gänsehaut verursachte, aufgrund des Déjà Vus: „Is Donald Trump a Fascist ?“

Dje vu Christiane liest die New York Times - ist Trump a fascistDeja vu Foto

Louis Begley ist sehr besorgt: „Die amerikanische Gesellschaft fällt auseinander. Wie sieht es denn in Deutschland aus?“ Natürlich hat er von den Ereignissen in Chemnitz gelesen und möchte wissen, wie die demokratischen Parteien mit der braunen Gefahr im neu-alten Gewand umgehen. Und schon geht es um Italien, Ungarn, Polen, um den Zeitgeist, der die demokratischen Gesellschaften spaltet und nicht versöhnt.

Louis Begley selbst war ja Flüchtling und er wollte „kein Flüchtling“ sein: „Mein Ziel war es, ein Leben in größter Freiheit zu führen und ein vollwertiges Mitglied der amerikanischen Gesellschaft zu werden. Das war mein Projekt an dem ich gearbeitet habe, als ich die High School in New York besuchte und später in Harvard studierte.“

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Sein „Projekt“ setzte er bravourös um, sein Studium der Literatur begann er mit einem Stipendium, danach studierte er auch noch Jura, beide Studiengänge an der Eliteuniversität Harvard schloss er mit Bestnoten ab und machte danach Karriere als Wirtschaftsanwalt bei einer der renommiertesten New Yorker Kanzleien. Drei Jahre lebte er in Paris und baute dort die Niederlassung seiner Kanzlei Debevoise & Plimpton auf.

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„Ich habe diese Stadt geliebt,“ sagt Louis Begley. „Ich mag die Franzosen. Ich mag die französische Sprache.“ Und, ja, auch die französischen Frauen. In seinem Roman „Der Mann, der zu spät kam“ arbeitet seine Hauptfigur Ben als Rechtsanwalt und lebt in Paris. Bens Leben ist in dieser Periode sehr verbunden mit dieser Periode in Begleys Leben. Begley litt unter seiner gescheiterten ersten Ehe und der Trennung von seinen Kindern. „Diese Lebensphase in Paris war für mich eine Art Flucht vor Einsamkeit, Flucht vor Bedauern, Flucht vor Verzweiflung.“

Anka und Louis im Due

1971 lernt er Anka Muhlstein bei einem Freund kennen, der ihn in sein Landhaus in die Provence einlud. „An einem Abend“, erzählt Begley, gab es ein großes Abendessen, zu dem Schriftsteller, Kritiker, Musiker und Künstler eingeladen waren. Draußen im Hof war eine lange Tafel aufgebaut, es brannte ein Feuer und eine Band spielte. Es war ein sehr vergnüglicher Abend. Zufällig saßen Anka und ich nebeneinander und haben uns trotz des ganzen Lärms intensiv unterhalten. Ich habe mich sofort in sie verliebt. –

Sofort? – So ziemlich. Und Anka? Anka lacht mit ihrem tiefen, mitreißenden Lachen.

Louis Begley und Anka Mühlstein

Foto Louis Begley und Anka Muhlstein in Venedig

Ich denke nicht, erwidert Begley, ich war immer der Schnellere. Ich dachte sofort: Jemanden wie sie habe ich noch nie getroffen, und ich werde nie wieder eine Frau treffen, die ihr ebenbürtig ist. Ich habe jedoch nicht gedacht, dass mein Gefühl irgendwo hinführen würde. Anka hatte den Ruf, Respekt gebietend zu sein und so empfand ich sie auch. Ich dachte, ich hätte ihr nicht sehr viel zu bieten. Und es war einer der größten Überraschungen für mich, als sie später meinen Antrag annahm. – Warum hat sie es wohl getan? Die Beiden schauen sich an, Begley lächelt verschmitzt: „Anka muss wohl weniger klug sein, als ich dachte.“ Gemeinsam haben sie ein Buch geschrieben: „Venedig unter vier Augen“, eine kenntnisreiche Liebeserklärung an die Lagunenstadt.

Seit mehr als vier Jahrzehnten sind sie jetzt verheiratet. Das ist für den erfolgreichen Anwalt und Autor die „größte Errungenschaft“ seines Lebens: „Anka ist mein andauernder Strom des Glücks.“ Das  glaube ich ihm sofort. Welch’ eine Freude, welch’ ein Glück mit diesen Menschen einen Abend verbringen zu dürfen. Zum Nachtisch teile ich mir eine köstliche Tiramissu mit Anka.

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Netterweise macht Anka noch ein Handyfoto von mir und ihrem Mann. Und während ich zur Subway gehe durch die Straßen mit den bourgeoisen Apartmenthäusern mit Stuck und hohen Fensterfronten, freue ich mich jetzt schon auf ein Wiedersehen. Bei dem werden wir über Louis Begleys neuen Roman sprechen, dessen Manuskript er gerade bei seinem Verleger abgeliefert hat. Auf meinem Nachttisch liegt „Schmidts Bewährung“, der zweiten Folge von „Schmidt“, auf englisch: „All about Schmidt“,  der kongenial mit Hollywood Star Jack Nicholson in der Hauptrolle verfilmt wurde. Eine Gesellschaftskommödie, „so trocken geschrieben, dass es knistert“, schrieb die New York Times. Ich habe das Buch schon vor Jahren gelesen und genossen, deshalb freue ich mich ganz besonders auf meinen Freund Schmidtie, der mich erheitern und in meinen Träumen begleiten wird.

Christiane von Korff ist Kulturreporterin und Autorin für Spiegel Wissen, stern, die Zeit. Ihr Markenzeichen sind Porträts und Gespräche mit Persönlichkeiten aus Kultur und Literatur. Gemeinsam mit Avi Primor schrieb sie das Buch „An allem sind die Juden und die Radfahrer schuld. Deutsch-jüdische Missverständnisse“, Piper Verlag.