Mein Doktorvater hat es uns seit Beginn des Studiums der Kunstgeschichte eingetrichtert: Sehen lernen, vergleichen können, Qualität und Handschrift erkennen. Das erste Semester ging dabei drauf, die Alten Niederländer voneinander zu unterscheiden: Roger van der Weyden (1400 – 1464), der Meister von Flemalle (1410 – 1440), die Gebrüder Jan und Hubert van Eyck (ca. 1390 – 1441) usw. Wie werden die Hände gemalt, wer liebt die flächig ovalen Gesichter, wer perfektioniert die Landschaftsmalerei auf welche Weise …?
Habe ich einmal mit der „Schule des Sehens“ begonnen, wird das Leben vielfältig und differenziert sich ständig weiter. Alltagsgegenstände, Kunstobjekte, Mode … alles bedingt sich irgendwie trotz unterschiedlicher Haltung und Aussage, aber mit formal-ästhetischen Übereinkünften. Raf Simons ließ sich für Dior von Gerhard Richter inspirieren, und auch in meinem Regal steht das Buch der Gestrüpp-Aufnahmen von Richter, Vorlage zu „Into the Woods“, 2014.
Deyna Gvasalia, der neue Shooting Star von Vêtement bezieht sich auf das Readymade der Dadaisten: „Vielleicht ist Mode heute ein bisschen wie Kunst es zu Zeiten von Duchamp war … Es hatte einfach niemand zuvor die Idee, DHL-T-Shirts in einer Modekollektion zu zeigen. Und niemand war vorher auf die Idee gekommen, ein Pissoir in ein Museum zu stellen.“ (Süddeutsche Zeitung, 1.3.2017) Und so laufen die DHL Shirts für über € 200 über den Laufsteg – eine Provokation.
Wenn ich das eine sehe, sehe ich auch das andere, vergleichend, erinnernd – so wie es mein Doktorvater mir im erweiterten Sinne beigebracht hat. Mein Auge ist geschärft und von permanenter Neugierde getrieben. Streichelt es über die Mid-Century Keramik, fühle ich mich inspiriert zu neuen Texturen der Frühjahrskollektion. Mein Readymade in diesem Monat: Der Armi-Parka „Das Schiff liegt sicher im Hafen aber nicht dazu wurde es gebaut.“ – passend zu den Seidenblusen aus Delfter Fliesen.
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