Drei Tage war meine Tochter Roma (24) bei uns in Kampen auf Sylt zu Besuch und hat mal wieder auf ihre unnachahmliche Weise das Leben von unten nach oben gekrempelt. Das Philosophieren ist ein Teil ihres Wesens vom ersten Augenaufschlag am Morgen bis zum letzten Küsschen in der Nacht – nur kurz unterbrochen von den Kochserien, die wir beide – wie zur seelischen Entspannung – abends im Bett schauen. Auch irgendwie bizarr, wo ich doch die absolute Küchen-Looserin bin …

Sylt Strand

Es ging um das „Glück“ bei unseren endlosen Spaziergängen am Meer und damit um Epikur, den griechischen Philosophen weit vor unserer Zeit (ca. 340 – 270 v. Chr.). Und ich wäre nicht ich, hätte ich Roma nicht dazu um einen Artikel gebeten, und Roma wäre nicht Roma, hätte sie ihn nicht gleich danach im Zug gestern Richtung Berlin für mich aufgeschrieben.

Roma Holland Bluse

Ein Zitat aus dem Brief von Epikur an Menoikeus muss ich voran stellen, da er alles zwischen uns beiden zusammenfasst: „Wer jung ist, soll nicht zögern zu philosophieren, und wer alt ist, soll nicht müde werden im Philosophieren. Denn für keinen ist es zu früh und für keinen zu spät, sich um die Gesundheit der Seele zu kümmern. Wer behauptet, es sei noch nicht Zeit zu philosophieren oder die Zeit sei schon vorübergegangen, der gleicht einem, der behauptet, die Zeit für die Glückseligkeit sei noch nicht oder nicht mehr da.“

Kimono Bluse

Roma: Epikur und die Weisheit zu wissen, was man will.

Epikur war ein griechischer Philosoph der Antike um 340 v. Chr. und als ich ihn in der Abiturklasse zum ersten Mal gelesen habe, war es um mich geschehen. In dem Brief an Menoikeus gibt er dem Freud eine Empfehlung für das Leben: Wie lebt man glücklich? Obwohl es nur noch wenige vollständige Texte gibt, hat dieser mich mit seiner Schönheit, Klarheit und auch Wahrheit vollkommen umgehauen. Er beginnt mit dem wundervollen Gedanken, dass es kein Alter zum Philosophieren gibt, ebenso wie es kein Alter dafür gibt, sich über die „Gesundheit“ seiner Seele zu sorgen und glücklich zu sein.

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Und nun der Geniestreich: Um glücklich zu sein, müssen wir unsere Bedürfnisse befriedigen! Und die Philosophie ist dazu da, die natürlichen von den „nutzlosen“ Lustempfindungen zu unterscheiden und dann muss jeder für sich wählen, was man wirklich will und wirklich braucht. Persönlich liebe ich den Teil, in dem Epikur erklärt, dass alles, was Befriedigung bringt, gut ist, und alles was Schmerzen bereitet, schlecht ist. Aber, dass manchmal eine Befriedigung zu mehr Schmerz führen kann und ein Schmerz wiederum zu einer großen Befriedigung. Es ist eine praktische und natürliche Philosophie. Und wenn wir alle mehr auf uns hören würden und ein Verständnis dafür gewinnen, was wir wirklich wollen, wann würde unser Leben ausgeglichener und weniger mit nutzlosen Dingen gefüllt sein. Es wäre ein leichteres Leben.

Moliere Don Juan

Wirklich spannend wird Epikur mit der Interpretation des 17. Jahrhunderts. Wir machen einen großen Zeit- und Geographiesprung nach Frankreich und zwar ins Jahr 1665, in dem Molière seinen Don Juan im Palais Royal in Paris aufführt. Die Geschichte eines aufgeklärten jungen Mannes, der sich keinem Gesetz – ausser seinem eigenen – beugen will, der Frauen verführt, auf endlose dekadente Weise sich vergnügt, sein Geld zum Fenster herauswirft und sich mit jedem messen will, der seine Freiheit in Frage zu stellen versucht.

DonJuan-crop

Die Barocke Philosophie mit dem Gedanken des „Memento Mori“ (erinnere dich, dass du stirbst), der Humanismus und die Dekadenz der europäischen Höfe führen zu einem Lebensstil, der Epikur neu interpretiert und den sogenannten Epikurismus ins Leben ruft. Es ist eine Idee von Freiheit, die sich versucht loszureißen von allen Regeln und Gesetzen, die vor allem durch die Kirche und die Sitten geprägt sind. Der Libertinismus lebt davon, dass man das Leben vollends auskosten und die Bedürfnisse so befriedigen muss, dass es gar nicht erst zu einer Form von Frustration kommen darf. Gedanken an die Konsequenzen oder die Notwendigkeit werden hier kaum verschwendet.

Verloren geht dabei der wichtigste Teil von Epikur, nämlich die kluge Besonnenheit, das Verständnis von einem selbst und dadurch auch der Sinn der Philosophie. Lassen wir diesen Bereich weg, so stolpern wir in einen Teufelskreis der Befriedigung, in dem wir niemals das Glück erreichen, da wir niemals vollkommen zufrieden sein werden. Don Juan läuft von Frau zu Frau, Feier zu Feier, um am Ende ruhelos auf direktem Wege in die Hölle zu fahren. Der Vergleich mit unserer modernen Konsumwelt und unserer verschwenderischen, ruhelosen und unüberlegten Art zu leben, drängt sich sofort auf.

   Spinoza

Wir machen einen letzten Sprung, dieses Mal geographisch nach Amsterdam, wo Spinoza (1632 – 1677) seine Ethik veröffentlicht. Dieses enorm komplexe Buch trägt in sich die interessante Erkenntnis, dass der Mensch von Natur aus nicht vorausdenken kann. Er wird immer die jetzige Befriedigung einer späteren vorziehen, egal welche besser für ihn ist. Ebenso wie er das kurze Leid vermeiden will, obwohl sich danach vielleicht der bessere Weg abzeichnet. Das Hier-und-Jetzt ist wichtiger als das Vielleicht in der Zukunft.

Roma Holland Bluse

Wir wissen, dass sich unser Planet in einer Krise befindet. Wir wissen, dass wir etwas an unserer Art zu leben drastisch verändern müssen, um diesen vernichtenden Prozess aufzuhalten und schlimmste Konsequenzen zu vermeiden. Nun ist es an uns, darüber zu philosophieren, was wir denn wirklich wollen. Es geht nicht darum, Angst vor der Zukunft zu haben. Es geht darum, auf sich zu hören und zu wissen was man im Leben braucht. Wenn wir uns auf unsere natürlichen Bedürfnisse konzentrieren und den „nutzlosen“ und kurzfristigen, manchmal schädlichen Genüssen entsagen – oder diese auch nur limitieren, können wir nicht nur besser leben, sondern einen wirklichen Unterschied für unsere Zukunft und die unseres Planeten sichern. Ende.

Roma Secondella

Roma studiert Philosophie an der Universität Potsdam, lebt in Toulouse und schreibt an ihrer Magisterarbeit über William James und die Notwendigkeit zu Glauben.