Der neue Seidenschal ist fertig und legt sich schmeichelnd um den Hals mit seinen energischen Grautönen, dem prächtigen Lila der Nachtigall (Philomela) und dem selbstbewussten Gelb der Schwalbe (Prokne). Marc Chagall illustrierte die Fabel von Jean de la Fontaine, und zusammen mit dem Stoff-Designer aus Ober-Italien haben wir aus seiner Kunst ein Dessin der Mode entwickelt. Die Geschichte der beiden Frauen hat es allerdings in sich und beweist, dass es schon in der Antike #MeToo gab:
Prokne und Philomela waren Geschwister und Töchter des Königs Pandion von Athen, der seine Tochter Prokne eigenem siegreichen Verbündeten (Tereus) zur Frau gab. Als sie sich nach ihrer Schwester sehnte, fuhr sie mit ihrem Mann zurück nach Athen. Der hinterhältige Ehegatte und Wüstling verschleppte Philomela, sperrte sie ein und missbrauchte sie, mehr noch, damit sie nichts erzählen konnte, schnitt er ihr auch noch die Zunge heraus. Prokne erzählte er unter Tränen, das seine Schwägerin auf einer Reise gestorben wäre.
Philomela webte indessen ein Tuch mit geheimen Symbolen des grausigen Vergehens und ließ es zu ihrer Schwester bringen. Die verstand sofort, rächte sich an ihrem Mann (wird hier nicht erzählt, zu gruselig) und beide Frauen flohen so schnell davon, dass ihnen Flügel wuchsen. Philomela wurde zur Nachtigall und Prokne zur Schwalbe…
Philomela und Prokne
Prokne, die gute Schwalbenseele,
Flog einst vom Lärm der Städte fort
Zu eines Waldes stillem Ort,
Wo einsam tönt das Lied der armen Philomele.
»Nun, liebe Schwester« spricht Prokne »wie geht es dir?
Hat man bald tausend Jahr doch nichts von dir vernommen!
Ich wüßte wahrlich nicht, daß du je wärst gekommen,
Seit unsrer Thrazier-Zeit, und hätt’st gewohnt bei mir.
Wie denkst du künftig nun zu leben?
Denkst diese Einsamkeit du nimmer aufzugeben?«
»»Wo«« fragte Philomel‘ »»ist’s schöner wohl als hier?««
Prokne erwidert: »Wie? Der Zauber deiner Kehle
Erkläng‘ den Tieren nur hinfort,
Höchstens ’ner armen Bauernseele?
Für solche Gaben wär‘ ’ne Wüste wohl der Ort!
Komm in die Stadt, dein Licht laß leuchten vor den Leuten.
Des Waldes Anblick tut nicht gut;
Hier denkst du stets daran, wie Tereus‘ wilde Glut
In ähnlichen Waldeinsamkeiten
Einst deinem Liebreiz Schmach und Schimpf hat angetan.«
»»Just die Erinnerung der Schmach, die so vermessen
Mir angetan, macht, daß ich dir nicht folgen kann;
Denn, ach! seh‘ ich die Menschen an,
Kann ich’s viel wen’ger noch vergessen!««
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