Heute startet die große Jil Sander Ausstellung im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst, ein Anlass für einen persönlichen Rückblick und Ausblick auf meine berühmte Nachbarin in der Milchstrasse in Pöseldorf.
Ich komme aus einer Familie, in der meine Mutter meine Schlaghosen in den 70er Jahren selbst nähte und in der weiße Kniestrümpfe zu grünem Rock und Blümchen Hemd das modische Non-Plus-Ultra waren. „Mode“ wurde kleingeschrieben und „Funktionalität“ groß, ein Mantel musste warm sein, ein Pullover gut zu waschen, eine Bluse adrett. Als ich mit Stipendium nach Amerika ging, verkaufte ich nach wenigen Wochen alles, was ich besaß, und kleidet mich komplett neu ein: Vintage Mode aus den 40er Jahren, Jumpsuit in Leoprint – auch gewöhnungsbedürftig. Und dann zurück in Hamburg entdeckte ich Jil Sander! Ich weiß noch genau mein erstes Jersey Kleid in hell grau-blau, die Haare mittlerweile lang und die Männer drehten sich nach mir um, als ich damit durch die Straßen von Paris schlenderte. Was für ein Gefühl.
Dann kam meine wilde Phase und statt beim Jil-Sander-Stil weiter zu machen lief ich plötzlich in selbstgenähten Fellkleidern herum – Wilma Geröllheimer mit rotem Lippenstift, High-Heels und hochgesteckter Haartolle. So lernte ich meinem Mann kennen, der schockverliebt meinte, die Frau müsse man stilistisch vor sich selbst retten. Er verpasste mir mein erstes Jil Sander Kostüm und so landete ich auf dem Schoß von Peter Hoenisch, RTLs damaligem Pressesprecher und Helmut Thoma Freund. Selbstbestimmt und sexy verließ ich souverän sein Büro – bei mir läuft’s nach meinen Spielregeln.
Den ersten Urlaub verbrachten wir auf den Seychellen. Mein Gepäck: ein minikleiner Koffer, darin ein langer Jil Sander Rock und diversen halbdurchsichtige Jil-Sander-Organza-Blusen. Etwas fremd in der damaligen Einöde des Indischen Ozeans. Kurzerhand schnitt mein zukünftiger Ehemann den Rock zu meinem Entsetzen auf Oberschenkel-Länge und kaufte mir ein Pralin T-Shirt.
Abb: Damals auf den Seychellen mit Jil Sander Outfits im Gepäck.
Als ich mein erstes Geld als Herausgeberin von Kunstreiseführern verdiente, war ich Jil-Sander-kaufsüchtig: ihre dicken Cashmere Pullover dazu kurze Lederhose und Kamelhaar Mantel. So ging ich zu den Interviews mit den damals führenden Galeristen in Köln, Frankfurt, Stuttgart oder Hamburg. Vera Munro, Galeristin und mit Jil Sander eng befreundet beäugte mich als merkwürdigen Underdog, aber, immerhin (!), ich hatte die richtige Kleidung.
Meiner damaligen Mitarbeiterin wollte ich ähnliche weibliche Glücksmomente bescheren und schenkte ihr ein Jil Sander Kostüm. Sie kündigte umgehend. – Ein Jil Sander schwarzer Pullover brachte es beinahe zum Zerwürfnis unserer Patchwork Familie, da ihn angeblich die älteste Tochter aus erster Ehe aus meinem Schrank geschnappt hatte, oder auch nicht. Irgendwann tauchte er wieder auf, etwas ramponiert mit ein paar Löchern, und wenn ich mich nicht irre, ist er jetzt bei Toska in Berlin – auch so eine Geschichte.
Abb.: Jil Sander in ihren Anfängen in Hamburg-Pöseldorf
Abb: Blick aus unserer Tür auf die private Villa von Jil Sander.
Und jetzt, jetzt bin ich ihre Nachbarin und profitiere von ihrem legendären Ruf in Pöseldorf. Ab und an huscht sie mit einem Lächeln und einem scheuen Gruß an mir vorbei. Was ich so mache, nun, das ist der „Queen of less“ ein wenig suspekt. Ich bin nicht ihre modische Erbin, sondern eine Summe von vielem mehr, aber ohne sie und ihre souveränen „femininen“ Entdeckungen gäbe es mich nicht wie ich bin.
Vorbereitungen für die Ausstellung im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst. Als Link ein sehr schönes aktuelles Interview:
Jil Sander Präsens. Museum für Angewandte Kunst. 4.11. 2017 –6.5.2018
PS: Die Schuhe von Taglia Scarpe werden von Mia Jahn entworfen, der früheren Schuh-Designerin von Jil Sander.
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