Spontan entschieden wir beim gemeinsamen Frühstück gestern, eine Lesung aus dem Lyrik-Band „alfabet / alphabet“ von der dänischen Lyrikerin Inger Christensen (1935 – 2009) zu verabreden: Freitag, den 3.10.2025, um 17:00 Uhr, im Kapitänshaus in Kampen auf Sylt. Der Verleger Dr. Josef Kleinheinrich wird den original dänischen Text vortragen und ich die deutsche Übersetzung. Seite für Seite im Wechsel und immer wird sich eine Zeile von Buchstaben zu Buchstaben hinzuaddieren.

Bevor ich heute mit dem Sonnenaufgang zum Meer aufbreche, lese ich die Anfänge aus dem Buch. „die abrikosenbäume gibt es… „. Ich blättere um. „die farne gibt es; und brombeeren … „. Ein paar Seiten weiter heißt es dann: „die tauben gibt es; die träumer, die puppen // die töter gibt es; die tage den tod … “ Ich lese laut und meine Stimme erhält plötzlich einen anderen Klang, wird fragend und forschend, versucht in den Sinn hineinzuschlüpfen. Wie es sich wohl im Dänischen anfühlen wird.

Auf Seite 27 geht es weiter: „den herbst gibt es; den nachgeschmack und das nachdenken // gibt es; und das insichgehen gibt es; die engel, // die witwen und den elch gibt es; die einzelheiten // gibt es, die erinnerung, das licht der erinnerung …“ Mein Stimme wird weich und beginnt ganz ungewohnt zu akzentuieren. Warum mal ein Komma, mal ein Semikolon? Bilder reihen sich aneinander, lösen sich wieder auf um Raum zu schaffen für die nächsten. Ist das schön!

Geschwind schreibe ich eine Textnachricht an die Freundin, die gerade auf dem Weg in die Berge ist oder dort schon angekommen. Sind wir nicht beide Naturwesen, statt uns wie früher in die intellektuellen Cafés zu verorten, oder sind wir beides und vieles? Mit Sicherheit.

Während ich in die wechselnden Outfits probiere, erhalte ich eine Antwort von ihr, die treffend beschreibt, wozu ich Euch am kommenden Freitag einladen möchte. „Ein Zufallsfund, ist von Virginia Woolf“, notiert sie:

„Ich schlug das Buch auf und begann irgendein Gedicht zu lesen. Und augenblicklich und zum ersten Mal verstand ich das Gedicht. Es war, als würde es vollkommen durchsichtig. Ich hatte ein Gefühl, daß Wörter eine Transparenz bekommen, wenn sie aufhören, Wörter zu sein, und sich so steigern, daß man sie zu erleben, sie vorauszusagen scheint, als entwickelten sie das, was man bereits fühlt. (…) Es läßt sich mit dem vergleichen, was ich manchmal empfunden habe, wenn ich schreibe: Die Feder wittert die Fährte.“ (Virginia Woolf)

Ich freue mich, wenn wir uns am kommenden Freitag sehen. Mein Mann backt die Apfeltarte, und wer möchte, trinkt ein Glas Wein. Und dann tauchen wir für einen kurzen Moment ein in die sich rhythmisch aufbauenden Zeilen eines wunderschönen Buches.

Weil heute Sonntag ist, gibt es für Euch Leserinnen wieder einen Gutschein von € 100 auf die bestehenden Teile. Einfach von der Summe abziehen.