Ich hole ein wenig aus, um die heutige Buchvorstellung richtig einzubetten. Alles begann mit dem Stretch Blazer in dunkelblau, einer Kundin, die ihn begeistert über die vergangenen Monate getragen hatte, und und ihrer Freundin, mit der sie nach Weihnachten unser Geschäft in Kampen/Sylt besuchte. Die Freundin kaufte auch solch einen Blazer und wir kamen, wie so oft in solchen Situationen, darüber ins Gespräch, dass sie ein Buch geschrieben hätte, sich mit Kunst beschäftigt, wie ich auch, usw. Dabei blieb sie bescheiden, während ich ihr flott von meinen früheren Recherchen über die Abstrakten Expressionisten in New York erzählte. Dann füllte sie das kleine Adresskärtchen aus „Carolin Scharpff-Striebch“, und ich notierte den Titel „Let’s talk Abstract“ …
Seit ein paar Tagen liegt nun das Buch bei mir auf dem Schreibtisch oder neben dem Bett und ist zu einer täglichen Lektüre von großem Genuss geworden. Carolin Scharpff-Striebich ist nicht nur die Leiterin der großen internationalen Sammlung zeitgenössischer Kunst ihrer Eltern, sie sammelt auch selbst, ist Mitglied der nordamerikanischen Ankaufskommission der Tate Gallery London und des Internationalen Komitees des Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris … – Wow, ich bin beeindruckt, und ich kramte in meinen lausigen Erinnerungslücken über die Zeit als Studentin in New York, während sie meinen Blazer kaufte. Nun, sie hat es mit stillem Schmunzeln hingenommen, während es mich ein wenig mit Stolz erfüllt, dass solch eine Frau fortan in meinen Roma e Toska Teil durch die Welt reisen wird.
Aber zurück zum Buch:. „Let’s Talk Abstrakt“ besteht aus Interviews, die Carolin Scharpff-Striebich mit Persönlichkeiten aus der Kunst, Museumsdirektoren, Kuratoren, Journalisten, über jeweils ein abstraktes Werk ihrer Wahl geführt hat. Jedes Gespräch ist eine inspirierende Reflexion über das Bild, seine Funktion in unserer Zeit, über Malerei, über Handschrift oder das Verschwinden von Handschrift, über das Nichts und das Alles. Wunderschön der Gedankenaustausch mit Julia Friedrich, Kuratorin am Museum Ludwig in Köln über „Grau“ von Gerhard Richter, 1974, oder gleich als Auftakt über die Streifen von Bridget Riley („Excelsis, 2010) mit Marion Ackermann, Generaldirektorin Kunstsammlung Dresden. Nachdenklich stimmete mich das Interview mit Richard Armstrong, Direktor der Solomon R. Guggenheim Foundation und Museum, über das Bild „Mercury Zone II“ von Al Held, 1975, und wie ein Künstler aus der Zeit fallen kann …
Mir in die Seele gefallen ist allerdings das interview mit Kirsty Bell, Autorin und Kunstkritikerin, über Mary Heilmann’s „Little Mondrian“ von 1985. Mondrian wollte das Bild der Zeit entrücken, ihm seine Realität nehmen, um ihm eine höhere zu verleihen, ernst und erhaben. Bei Heilmann steht das Spielerische im Vordergrund. „Alles an dem Bild hat mit Fehlern zu tun. Nichts ist exakt: Die schwarze Farbe geht in das Weiß über. Die Linienführung ist nicht exakt. Zwischen den Farben gibt es keine scharfe Trennung … Bei Heilmanns Arbeit geht es darum, die strengen Grenzen zu verwischen, oder mit anderen Worten, die Parameter in Frage zu stellen.“ (Kirsty Bell) – Gerade beschäftige ich mich mit Mondrian und seinem „Boogie Woogie Broadway“ von 1942-43, meiner Ikone aus meiner Zeit als Studentin an der Brown University. Das Interview von Bell und Scharpff-Striebich wird mich bei meinen Vorbereitungen zu Sommer 2020 weiter begleiten.
Literatur: Carolin Scharpff-Striebich. Let’s Talk Abstract. Distanz Verlag, Erschienen Oktober 2018, € 32,00.
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