The Dream We Carry
von Christiane von Korff
Am ersten Tag der Buchmesse herrscht fröhliche Aufregung am DTV Stand: Jussi Adler-Olsen hat auf Anhieb die Sellerlisten gestürmt. Sein gerade erschienener Thriller Opfer 2117 steht auf Platz eins der SPIEGEL Bestsellerliste! Kein Wunder, denn der achte Fall für Carl Mørck und das Kopenhagener Sonderdezernat Q hat alles, was einen guten Thriller ausmacht: Nervenzerfetzende Spannung von der ersten bis zur letzten Seite. Der Autor hingegen setzt sich ganz entspannt mit mir in den Strandkorb – wir kennen uns seit Jahren, ich habe mit ihm in seinem Haus im dänischen Allerød ein sechsseitiges Interview für das stern Crime Magazin geführt.
Ein zentrales Thema seiner Thriller sind die dunklen Seiten der Gesellschaft, in all seinen Büchern geht es in der ein oder anderen Form um Machtmissbrauch. „Jussi, siehst Du Dich als einen sozialkritischen Autor?“ – „Absolut. Ich schreibe über soziale und politische Themen und will die Leute zum Nachdenken bringen. Nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit spannenden Geschichten und Humor. Und Carl Mørck hat jede Menge Humor.“ Dem kann ich nur zustimmen und möchte an dieser Stelle ergänzen: Diese Eigenschaft teilt der Autor mit seiner Romanfigur.
Bevor es weiter geht zum Fischer Stand treffe ich Claire Lombardo, deren Familienroman Der größte Spaß, den wir je hatten sofort auf die New York Times-Bestsellerliste einstieg. Lombardo, 30, arbeitete etwa sechs Jahre lang für die Chicago Coalition for the Homeless. Dort schulte sie ihr Einfühlungsvermögen, das sie auch als Schriftstellerin braucht, wenn sie sich in die Haut ihrer Romanfiguren versetzt. „Ich war gerade zwanzig,“ erzählt mir die Autorin, „und wurde plötzlich in die Situation geworfen, einer dreifachen Mutter mit drei Jobs zu helfen, die nicht weiß, wo ihre Kinder in dieser Nacht schlafen werden. Das war eine wirklich eindringliche Erfahrung, die mir das Gefühl gab, etwas Sinnvolles zu tun. Dasselbe empfinde ich auch, wenn ich Romane schreibe.“
Uups! Wo ist denn Peter Prange? Mein Handy klingelt. Hallo? The Great Master of Storytelling höchstpersönlich. Die Stimme des gefragten Autors – sein neuer Roman steht auf Platz 14 der SPIEGEL Bestsellerliste – klingt atemlos. Er käme gerade aus einem Rundfunkinterview und laufe nun vom Ü-Wagen zur Halle 3.1., um mich am Stand des Fischer Verlages zu treffen. Keine Panik auf der Titanic, ich greife vorerst zu seinem wunderbaren Roman: Eine Familie in Deutschland, dem zweiten Band und Abschluss der Familiensaga, die von den Irrungen und Wirrungen Deutschlands vom Tag der Machtergreifung bis zum Tag der Kapitulation erzählt. Peter Prange erzählt packend und authentisch von der Verführbarkeit des Menschen in politisch prekären Zeiten und zeigt, wie Menschen wirklich sind, wenn sie unter Druck stehen. Und zu keiner Zeit in der deutschen Geschichte, standen Menschen mehr unter Druck als in der Nazizeit. Dies hatte mir Peter Prange bei seiner Lesung gesagt in der Milchstraße 11 in Hamburg-Pöseldorf.
Abb. Christiane von Korff und Peter Prange in der MILCHSTRASSE 11, 2018
Ich eile zu Jon Fosse. Der Norweger gilt als Anwärter des Literatur-Nobelpreises. Er ist einer der größten europäischen Autoren und Dramatiker, der Daily Telegraph führte ihn an 83. Stelle im Ranking der Top 100 living geniuses. In seinem neuen Roman Der andere Name. Heptalogie I – II erweist er sich erneut als Meister gemeißelter Prosa, wenn er vor dem Hintergrund der norwegischen Wälder, dem Meer und den Fjorden von den existentiellen Fragen des Lebens erzählt: Von Liebe und Einsamkeit, Leben und Tod, von Licht und Schatten, Glaube und Hoffnungslosigkeit – alles ist zeitgleich da, Vergangenes und Gegenwärtiges fließen in seinen großen, uns mitreißenden Erzählstrom.
Der Abend beginnt mit dem Empfang des Directors of the British Honorary Consul, der zu Ehren des britischen Autoren und Bestsellerkönigs Robert Harris gegeben wird.
Aus der Vogelperspektive des Park Towers sehe ich die glitzernde Kulisse Mainhattans. Funkelnd ist auch die Rede des britischen Botschafters Sir Sebastian Wood, der die deutsch-britische Freundschaft während des elendigen Brexit und auch der Post-Brexit Zeiten beschwört.
Nach der Rede spreche ich mit Starautor Robert Harris, der sich genau erinnert, dass ich ihn auf den Spuren seines historischen Romans „Pompeji“ für eine Reportage begleitet habe. In der Mittagshitze wanderten wir gemeinsam zum Vesuv. „Mir lief“, sagt Robert, „der Schweiß runter. Übrigens wäre heute unsere Wanderung ohne Guide nicht mehr erlaubt, da zu gefährlich. Wir standen ja am Rand des Abgrunds als wir in die Tiefe des Vulkans starrten.“ Auch heute, so lese ich Harris’ hellsichtigen Roman Der Zweite Schlaf, steht unsere Zivilisation am Abgrund. – Zivilisation? – „Außerirdische“ sagt mir Harris, „würden bei einem Besuch unseres Planeten furchtbar nörgeln.“ Fast verzweifelt klingt er, wenn er sich fragt, wie es soweit kommen konnte, dass sich dank digitaler Revolution im Internet Verschwörungstheorien und Fake News viral verbreiten. Last Question: Would Boris Johnson be a good character for a novel? Answer: „You couldn’t put him in a novel, he is unbelievable!“
Harris’ Worte habe ich noch im Ohr, als ich in eine beschwingte Welt eintauche. Verleger Nikolaus Brandstätter hat zum Dinner ins Restaurant Margarete geladen und die Crème de la Crème der Buchbranche sitzt schon am langen Tisch. Natürlich darf Joachim Unseld nicht fehlen, ebenso wenig wie Christian Schumacher-Gebler, CEO der Bonnier Gruppe Deutschland. Dori Tscherwinka, Unternehmerin des Jahres 2008 und ihr Mann Norbert, Inhaber der dt-collection sitzen mit am Tisch, ebenso Verleger Andreas Langenscheidt, auch wenn er das 150 Jahre alte Familienunternehmen inzwischen verkauft hat. Zur Langenscheidt Gruppe gehörte auch der wunderbare Brockhaus, eines der zwanzigbändigen Ausgaben des Lexikons steht in meinem Hamburger Regal und leistet mir – trotz oder gerade wegen Wikipedia – nach wie vor gute Dienste.
Wolfgang Hölker ist Verleger des traditionsreichen Münsterschen Coppenrath Verlags, seine Frau Siggi Spiegelburg gab der Edition Die Spiegelburg ihren Namen. Die Edition entwickelte ein eigenständiges Non-Book-Programm. Der reiselustige Hase Felix war das Lieblingskuscheltier meiner zweiten Tochter Julie, und natürlich zog sie auf Reisen schon als Fünfjährige eigenhändig ihren kleinen, rotkarierten Trolley Felix hinter sich her.
Fortsetzung folgt mit weiteren Begegnungen mit Autoren. Und mit Bücherfans, die sich allzu gern von Geschichten verführen lassen.
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