Diesmal fasse ich mich kurz, denn der Bericht meiner Freundin Christiane von Korff von der Buchmesse in Frankfurt sagt genug über Weltgeschehen, künstliche Intelligenz, nordische Krimis und den Small Talk unter Frauen. Meine „intellektuelle Schönheit“ ist auf ihren zwei langen schlanken Beinen von morgens bis abends unterwegs zur „Who is Who“ der internationalen Literatur-Elite. Was nun noch fehlt, ist die Zeit mit einem Glas Wein am Kamin in der MILCHSTRASSE 11 oder auf Sylt unter dem Reetdach, um die vergangenen Wochen und Erlebnisse Revue passieren zu lassen.
„Wer liest sieht besser aus“
Neues aus der Welt der Bücher und Autoren
Von Christiane von Korff
Time flies, kaum zurück von der Buchmesse muss ich schon die nächsten Interviews vorbereiten. Manchmal kommt mir mein Leben vor, als säße ich in einem Eilzug, der an Haltestellen vorbeirast, an denen ich gern aussteigen und verweilen würde. Am Rowohlt Stand macht ein ZDF-Team Filmaufnahmen für seinen Bericht über Inger-Maria Mahlke. Die Schriftstellerin hat für ihren Roman „Archipel“ den diesjährigen Deutschen Buchpreis erhalten. Das Zitat aus ihrem Roman stimmt mich nachdenklich: „Seltsam, wie einen das Leben die Bedeutung von Zeit lehrt.“
Nicht nur das Leben, auch Bücher lehren die Bedeutung von Zeit, einer Zeit der verglühenden Gewissheiten. Klaus Brinkbäumer zeigt in seinem klugen Buch „Nachruf auf Amerika“ wie sich die transatlantische Lage verändert hat. Untertitel: „Das Ende einer Freundschaft und die Zukunft des Westens“. Wer hätte gedacht, dass verlässliche Partner wie die USA plötzlich zu unberechenbaren werden?
Brinkbäumer hat in seiner Zeit als Korrespondent des SPIEGEL mit Trump 2008 ein kurzes Interview am Telefon geführt für eine Reportage über New York und die Folgen der Wirtschaftskrise. O-Ton Trump: „This is the Donald. This is America, my friend, the greatist country on earth, glaubst du, wir sind Schwächlinge, Feiglinge, glaubst Du wir geben in der Krise einfach auf? Amerika ist großartig, aber es kann noch viel großartiger werden. Wenn Du mehr brauchst, deutscher Reporter, lies meine Bücher, sie sind phantastisch.“ Na, prima, das war im Herbst 2008, Obama Präsident der Vereinigten Staaten und niemand, der bei Verstand war, hätte sich vorstellen können, dass the Donald acht Jahre später sein Nachfolger werden würde.
FOTO mit Harald Welzer
Die Zeiten sind geradezu explosiv, dies waren auch die Themen vieler renommierter Autoren der diesjährigen Buchmesse, auch von Harald Welzer, Soziologe, Zukunftsanalytiker, der mir sein Buch „Welzer wundert sich“, seine Anleitung zum selbst denken, sehr gern signiert. Ein anderes, tiefsinniges Buch der Harvard Professoren Steven Levitsky und Daniel Ziblatt heißt „Wie Demokratien sterben“ , erschienen beim DVA Verlag. Deren Analyse kann ich jedem ans Herz legen, der die aktuellen Zeitläufte in einen historischen Kontext einordnen will.
Deshalb freue ich mich, am Ullstein Stand Wolfgang Ischinger zu treffen. Der Autor ist einer unserer besten Diplomaten, er hat Deutschland als Botschafter in Washington und London vertreten und ist jetzt Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz. Er berät Regierungen und ist ein Experte für Außen-und Sicherheitspolitik, Disziplinen, die er auch an der Hertie School for Governance in Berlin lehrt. Sein lehrreiches und dennoch unterhaltsames Buch heißt: „Welt in Gefahr“. Bei seinem Blick auf Deutschland und Europa sieht er unseren Kontinent in unsicheren Zeiten. Doch Lamentieren ist nicht Ischingers Sache, wenn er die aktuellen Krisen und Konflikte analysiert, fordert er ein noch aktiveres Engagement Deutschlands ein. Ansonsten, sagt und schreibt er, erodierten Frieden und Wohlstand in einer zunehmend chaotischen und konfliktreichen Welt.
Unterhaltung muss auch sein, Frank Schätzing trifft zielsicher den Puls der Zeit mit seinen Megasellern, weil er es versteht, komplexe Themen spannend zu erzählen. Eine hohe Kunst. Auf meinem Weg durch die Gänge der Bücherhalle 3.1. treffe ich ihn. Wir haben so manche Interviews geführt, ernsthaft und mit Witz, denn Frank Schätzing ist ein helles Köpfchen mit kölschem Humor, eine herrliche Mischung. Sein Thriller „die Tyrannei des Schmetterlings“ ist ein Pageturner, der komplexe Forschungsbereiche wie Künstliche Intelligenz, Robotik und Quantencomputing als großes Kino inszeniert.
Auf einer Pressekonferenz des Lübbe Verlags stellt Michelle Hunziker ihr Buch „Ein scheinbar perfektes Leben vor.“ Mit ihrer entwaffnenden Offenheit und ihrem Charme hat sie die zahlreich erschienen TV-Journalisten, Rundfunk- und Printreporter in Windeseile um den Finger gewickelt. Sie ist eine bildschöne und intelligente Frau. Sie erzählt, wie sie es geschafft hat, einer Sekte entkommen, die sie jahrelang in den Fängen hielt. Ihr Buch ist ein Mutmacher und Lebenshilfe zugleich: Wie schafft man es, aus einem tiefen Tal herauszukommen und seine bitteren Erfahrungen in eine positive Perspektive zu verwandeln?
Michelle Hunzinger und Christiane von Korff, Foto: Olivier Favre
Am DTV Stand habe ich einen Termin mit einem meiner Lieblings-Interviewpartner: Jussi Adler Olsen, dessen Thriller sogar auf der New York Times Bestsellerliste stehen. „Miese Kleine Morde“, heißt seine neue köstlich-amüsante Crime Story, die er pro-bono für eine dänische Flüchtlingshilfe-Organisation schrieb. Wir setzen uns auf die Couch und Jussi erzählt mir, wo er fündig wurde für das „Rohmaterial“ seiner Geschichte: Beim Damenfriseur! Dort ließ er sich als einziger Mann die Haare schneiden. Noch Fragen? Das ist typisch Jussi, immer für Überraschungen gut. „Du glaubst es nicht“, erzählt er mir, „wie freimütig die Frauen dort geredet haben! Sitzen beim Friseur und beratschlagen mit ihm oder ihrer besten Freundin, wie sie sich am besten ihres Ehemanns entledigen könnten.“ Ach, wirklich, lieber Jussi? Mir steht der Mund offen, wie man auf dem Foto sieht.
FOTO mit Jussi Adler Olsen
Ist das jetzt Fiktion oder Fakt? Die mitgehörten Damengespräche, behauptet Jussi, hätten ihn auf die Idee gebracht, seinen Protagonisten Lars Hansen zu erschaffen. Der wird selbst von seiner Frau verlassen und ist in akuten Geldnöten. Da kommt ihm diese Idee gerade recht: Gegen eine anständige Bezahlung kann er die Damen nachhaltig von ihren Gatten erlösen. Doch natürlich geschieht etwas, das seine Geschäftsidee fundamental ins Wanken bringt. Es muss ja auch überraschende Wendungen geben, denn sonst wäre dem Thrillerkönig keine spannende Story gelungen. Die signiert er mir mit einem Herzchen. Ich wünsche Jussi eine gute Reise nach Barcelona, wo er mit seiner Frau Hanna überwintern und an einem neuen Thriller schreiben wird. Ich freue mich jetzt schon auf den knorrigen Carl Mørckund sein Team, mit dem er seinen neuen Fall lösen wird.
Foto DTV Verlegerin Claudia Baumhöver
Und jetzt, liebe Leserinnen und Leser kommt noch ein Schmankerl, das ich selbst nicht hätte erfinden können. Am Morgen meines ersten Messetags, an dem das Gedränge in den Gängen noch nicht so groß ist, hatte die Verlegerin des DTV Verlages Zeit für mich. Sie trug ein Kostüm von Vivienne Westwood, fragte aber sogleich, was ich denn Schönes trage. Nach unserem „Frauentalk über Mode“ (Baumhöver) wandten wir uns dem DTV Programm zu. Wir Frauen sind eben Multitasking und wissen außerdem: „Wer liest, sieht besser aus.“ Ein Werbespruch des Schweizer Diogenes Verlags, bekannt für seine erlesenen Autoren.
Am Stand taucht die aus Boston eingeflogene Autorin Min Jin Lee auf. Sie ist in Seoul geboren, als sie acht Jahre alt war, immigrierte sie mit ihrer Familie in die USA. Heute lehrt sie an der Universität Harvard. Als ich ihr vorgestellt werde, sagt sie als Erstes: „Was für ein tolles Tuch! Wo kann ich das bekommen?“ Das ist sehr amerikanisch – erst Komplimente machen, um gleich zu fragen, wo man diese oder jene Klamotte erwerben könne. Keine Zeit verlieren, denn Zeit ist Geld. Dann blickt Min Jin Lee auf meine Schuhe und ruft aus: „How cute!“ Und schon bückt sie sich und streichelt das Fell. Ich erzähle hier keine Romane, ich bin Journalistin und halte mich an die Fakten. Also, zum Mitschreiben: Diese Geschichte habe ich nicht erfunden. Petra Büscher, DTV-Pressesprecherin, ist meine Zeugin. Das Foto mit meinem Smartphone macht sie allerdings erst, als wir über Min Jin Lees Roman „Ein einfaches Leben“ sprechen, ein opulentes Familienepos, das auf der Shortlist des National Book Award und auf allen amerikanischen Bestsellerlisten stand.
In Frankfurt auf der Messe braucht man nicht bloß Geschmack und Verstand. Auch eine leistungsfähige Leber, um die Empfänge heil zu überstehen, die Verlage am Abend geben. Der Hoffmann und Campe Verlags verleiht in diesem Jahr den Julius-Campe-Preis an Christian Petzold für seinen Film „Transit“. Ein Film, der auf Anna Seghers Roman „Das siebte Kreuz“ basiert. „Transit“ zeige, sagt die Verlegerin, wie eng Seghers Buch auch nach acht Jahrzehnten mit unserer Gegenwart verbunden ist. Zuvor hatte ich schon am gleichen Ort, im Hessischen Hof, während des Ullstein Empfangs mit dem Verleger, seinen Autoren und Lektoren gesprochen. Auch dabei ist Jo Bausch mit seinem gerade erschienen Buch „Gangsterblues“ in dem er Mördern, Dealern und anderen notorischen Betrügern in die tiefen Abgründe ihrer Seele blickt. Jo Bausch, den ich vor ein paar Jahren in Hamburg auf einem Literaturfestival kennengelernt habe, übt gleich drei Berufe aus: Autor, Schauspieler – Tatort Fans kennen ihn aus dem Tatort Köln, wo er den Gerichtsmediziner spielt – undMediziner: er arbeitet als Anstaltsarzt der Justizvollzugsanstalt Werl. Wir gehen raus zum Luftschnappen und setzen uns nebenan auf die Stufen.
Foto Bausch + C auf den Stufen
Danach will Jo unbedingt den Dichter Wolf Wondraschek (er schreibt Prosa und Gedichte) kennenlernen. Was Bausch auch gelingt: Schnell ist er im Gespräch mit dem Dichter, der neben seiner Lebensgefährtin und Künstlerin Lilo Rinkens steht. Das Paar hat ein Buch gemeinsam verfasst: Die „Kelly Briefe“.1998 erschienen und leider nur noch antiquarisch erhältlich. Ich hoffe sehr, dass es wieder aufgelegt wird! Einfach wunderbare Liebesbriefe, Wondraschek schreibt: „Liebste, Du willst im Ernst nach NYC ziehen? Nun, dann mußt Du verrückt geworden sein! The city that never sleeps? Alles Quatsch! Natürlich schläft jeder. Es leben hier nur einfach zu viele, viel zu viele Menschen, so daß die Stadt keine andere Wahl hat: die eine Hälfte schiebt die Tag-, die andere die Nachtschicht; sie würden sich sonst zu Tode trampeln. (…) Fahr ans Meer; und wenn es regnet, schau dem Regen zu, der draufregnet: lehne dich neben der Küstenstraße an einen krummgewachsenen Baum. Und wenn Dir nach Schreien ist: tu´s; es ist ja bei diesem Sauwetter niemand unterwegs außer Dir. (…) Aber zum Schluß muß ich dir noch ein Kompliment machen. Du drückst Dich in Deinem Brief wenigstens klar und deutlich aus. Und deshalb eine klare Antwort auf die Frage, ob ich Dich liebe. Liebe ist eine Sache ohne Wahrheit. Suchen wir nicht danach. W.“
Foto: Cover Kelly Briefe
Mit dieser Kostprobe und Kostbarkeit verabschiede ich mich für heute. Nein, noch nicht ganz, denn jetzt höre ich ein Gemotze in meinem Kopf. Uups, Wolf Wondraschek, ein streitbarer Geist mit Lust an der Attacke, meldet sich zu Wort: ‚CvK, wieso erwähnen Sie nicht mein neues Buch?’ Jaha, Sie haben ja recht! Deshalb sei der Titel selbstverständlich nachgeliefert: „Selbstbild mit russischem Klavier“. Ein weiser und bisweilen melancholischer Künstlerroman. Zwei Männer lernen sich in einem Wiener Kaffeehaus kennen. Der eine, ein ehemaliger russischer Pianist namens Suvorin, tauscht mit dem anderen, einem Schriftsteller seine Erinnerungen aus. Der Schriftsteller lauscht dem Pianisten gebannt, denn dessen Erfahrungen und Gedanken bringen seine ganz eigenen Saiten zum Klingen. Kurz, es geht um die großen Themen des Lebens: Um Liebe und Verlust, um Erfolg und Scheitern, um Vergänglichkeit und um das Unvergängliche der Kunst.
Die Zeit, die Zeit, nur ein Wimperschlag. Zu schnell verfliegt sie, auch auf der Buchmesse – mit anregenden Begegnungen (danke: Lilo Rinkens), Interviews und intensiven Gesprächen. Und einer ausgelassenen Feier in Jimmy’s Bar, auf der Messe ein Treffpunkt, der Legenden schrieb. An diesem Abend feiern wir mit Shashi Mudunuri, CEO & Founderdes Start Ups für Künstliche Intelligenz, der tagsüber einen Big Deal abgeschlossen hatte: Sein Unternehmen verkaufte er mit Millionen-Gewinn an den globalen Wissenschaftsverlag Springer Nature. AI, Artificial Intelligence, das ist unsere Zukunft, die längst begonnen hat.
Foto: Jimmy’s Bar Feier mit KI Start Up CEOs
Während wir tanzten, war der neue Tag schon angebrochen. Nur die Straßenlaternen erhellten den Messeturm im Dunkel der Nacht. Ciao Francoforte, a presto!
Christiane von Korff hat deutsche Philologie, Geschichte und Kunstgeschichte studiertund arbeitet als Kulturreporterin und Autorin für Spiegel Wissen, stern, die Zeit. Ihr Markenzeichen sind Porträts und Gespräche mit Persönlichkeiten aus Kultur und Literatur. Gemeinsam mit Avi Primor schrieb sie das Buch „An allem sind die Juden und die Radfahrer schuld. Deutsch-jüdische Missverständnisse“, Piper Verlag.
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