Bye, bye Marilena. Gestern war der letzte Tag von unser Praktikantin, die seit Mitte September bei uns arbeitete und nun wieder nach Dresden zurück kehrt, um ihr Mode-Studium abzuschließen. Zur Feier des Tages gab es von ihr herrliche selbstgebackene Muffins und das erste Fotoshooting der „Waterscape“ Kollektion, gegenüber unserem Atelier an der sonnenüberfluteten Mauer von Jil Sanders Palais.
Was für eine bildhübsche junge Frau, was für eine schöne Kollektion. Wir waren alle verzückt von dieser Einheit der blauen Augen und dem blau-türkisenen Meer auf der ärmellosen Matrosen-Bluse. Die Elbsegler- und Lotsen-Mützen hatte Marilena noch selbst mit ausgesucht. Dazu trägt sie den neuen Pencil Skirt mit der doppelreihigen Knopfleiste, die Coco Jacke mit Waterscape-Futter und den Schmuck von Yves Saint Laurent.
Fünf Monate war Marilena bei uns. Ich erinnere mich noch an das erste Interview mit ihr, als sie gerade das Praktikum begann. Was schreibe ich nun über sie. Wie oft haben meine Gedanken um sie gekreist, was ihr wahrscheinlich überhaupt nicht in den Sinn gekommen ist, wenn sie im Atelier so fröhlich lachend plauderte und nähte. Fleißig, gewissenhaft, engagiert, verlässlich, sehr geschickt an der Maschine, eine tolle Teamplayerin, die jeden Morgen in einem neuen appetitlichen Look um die Ecke kam. Jemand, der wie hier auf den Fotos zu sehen ist, Mode transportieren kann.
Aber so ein Mode-Business ist tough, sehr tough. Die Kraft, die es einem abfordert, ist enorm, kreativ, logistisch, kaufmännisch. In allen Bereichen geht es um den großen Wurf und das kleinste Detail. Wieviel Kampfgeist und Biß hat so ein junger Mensch, der so gern lacht und das Leben genießt?
Abb: Knoten-Bluse, Seiden-Chiffon und Stretch Blazer
Gestern kam es fast zum Streit zwischen uns und das am letzten Tag. Ich wollte ein Element anders herum vernäht haben, da so mehr Spannung erzielt wird, sie fand es „Geschmacksache“. Meine Töchter kennen darauf meinen typischen Blick: schockgefroren. „Geschmacksache“, dieses Wort gibt es nicht, alles muss befragt werden, alles fordert ein Abwägen, eine Entscheidung. Natürlich existiert mehr als eine Lösung, ist nicht jede Wahl ist die richtige, aber es geht um das bewußte Ringen, um den bestmöglichen Ausdruck, den aufregendsten Look, um Balance, Harmonie, Widersprüche …. Manchmal scheint mir mein Kopf wahrlich zu platzen mit Überlegungen, was passt, was passt nicht, ist es gut genug oder bedarf es noch der Zentimeter-Überarbeitung? Wo sitzt der Rock, wie weit darf das Knie herausschauen oder wieweit es bedecken? Ist die Schulter breit genug, das Revers mit der richtigen Linienführung, wird der Stoff quer oder längs zugeschnitten …? – Wir erinnern uns an „Der Teufel trägt Prada“ und den blauen Pullover. Es ist nicht „Geschmacksache“ welches Blau gewählt wird. Dahinter steckt eine fein überlegte Aussage.
Marilena erhielt ihren Vortrag und der Streit ging weiter. Nein, nicht so viel Schmuck, den Rock trage ich lieber höher … Still! Zuhören, neugierig prüfen, Eindrücke sammeln … – Wie sagte mein Doktorvater immer zu mir: „Sehen lernen“, ein Prozess der niemals endet. Und studieren und studieren, die Biographien der Künstler, der bildenden, schreibenden, musizierenden. Teilhaben an ihren Qualen, ihren Zweifeln, ihrer Mutlosigkeit. Gut ist nicht genug, wenn man ehrgeizig ist und Designer, Trendsetter werden will. Der Markt ist gnadenlos, das Karussell dreht sich immer schneller.
Marilena ist in diesen fünf Monaten ein Teil des Teams geworden und wir werden sie ab Montag Morgen vermissen. Aber konnte ich ihr umgekehrt auch meine Welt vermitteln, meine Gedanken und Ideen einpflanzen über die Komplexität von Mode und wie man quer und anders denken muss, um zum eigenständigen Ergebnis zu gelangen. Sollte ich ihr einen Rat geben, so würde ich sie nach der Mode-Design-Ausbildung noch mal auf die Studienbank setzen, vielleicht für Kunstgeschichte, Theaterwissenschaften, Philosophie oder Literatur oder für ein paar Monate ins Museum stecken in die Fashion-Abteilung, ins Metropolitan nach New York, oder nach Paris, London, vielleicht auch ins Stedelik nach Amsterdam zu den alten Meistern. Möglich, dass sie auch ihre Liebe und ihr Talent für Stoffe und Verarbeitung weiter entwickelt, genauso wie es Monique tut …?!
Ach, die Wege sind verschlungen und sie ist noch so jung. Als ich so alt war, bewarb ich mich gerade für ein Stipendium für die USA, rasselte durch zwei durch, bekam das Dritte, und war so schlecht angezogen, dass alle Kommilitonen nur ablästerten. Mein späterer Doktorvater und mein Professor an der Brown University waren wunderbare Tutoren, sanft stupsten sie mich links und rechts und lotsten mich väterlich durch alle Zweifel. Als ich schmeißen wollte, sagte der eine: Keine Angst, sie sind auf der nächsthöheren Leiter ganz unten. – Ich würde mich freuen, wenn Marilena es nach diesem Praktikum genauso empfindet.
Abb: Kostüm mit Waterscape Matrosenbluse. Das Hündchen „Bonsai“ wurde kurz von den vorbei spazierenden Nachbarn ausgeliehen. Alle Modelle gibt es auf der Preview „Waterscape“ am kommenden Dienstag, den 19.2.2019, ab 18.00 Uhr zu sehen.
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