Endlich geschafft: Abi! Nach all den Monaten büffeln oder nicht büffeln (kenn ich auch ein paar) hat es geklappt, der Zensurenschnitt reichte, um zu bestehen oder reichte nicht, um ins Medizin-Studium zu kommen … Ehrgeiz auf allen Seiten, nicht nur bei den Schülern, sondern auch bei den Eltern. Ich war damals komplett unentspannt, rechnete noch nachts mögliche Noten-Konstellationen aus um bei 1,3 zu landen (hat nicht funktioniert). Toska’s Klasse war Monate zuvor die Chaos Truppe und machte dann das beste Abi Europa-weit. Roma sollte zig-mal von der Schule fliegen und schaffte die 1,4. Toska reiste anschließend nach Indien, Roma lebt in Toulouse. Beide studieren jetzt Philosophie, wohin es sie führen wird – keine Ahnung.

Roma und Toska

Wo mein Zeugnis ist, ebenfalls keine Ahnung; ich musste es nur einmal in meinem Leben vorlegen bei der Zulassung zur Uni. Habe übrigens gerade meine Promotionsurkunde wiedergefunden in einer Schreibtischschublade unter sonstigen Briefen … Und nun? Abi-Party, Abi-Ball, kein Ort kann teurer und eleganter sein. Natürlich die Mädchen in lang, die Jungs im Anzug. Alles sehr wichtig als Markierung eines Lebensabschnittes und unbedingt und zwangsläufig – wieso eigentlich – Auftakt in einen designten Karriere-Lebenslauf: Medizin, Jura, BWL, möglichst im Ausland an wohlklingenden Universitäten und dafür berühmten Städten: Kopenhagen, Maastricht, London, Heidelberg … Als würden wir auf die nächsten Nobelpreisträger warten.

Toska Abfeire

Abb.: Toska bei ihrer Abi-Feier 2015. Sie erklärte kurz und bündig, dass sie noch keine Ahnung hätte, was sie später machen möchte. Da war ich sehr stolz auf sie. (Abi-Kleid wie Toska es trägt, Vintage Kollektion € 300,00)

Es gilt damals wie heute: Kein Lebenslauf ist gradlinig, die berühmtesten unter ihnen zeigen beachtliche Kurven und Volten, Blockaden und Umwege. Als ich mit der Schule abschloss, hatte ich keine Zukunftsidee oder Berufsvorstellung. Eine 1 in Mathe, in Deutsch und Kunst, null Blicker für Physik und Chemie, fühlte mich dumm und talentlos. Ich startete mit Kunstgeschichte, wollte nach Amerika, dann ins Museum, dort zerstörte ich während des Praktikums schon fünf chinesische Seidenmalereien, nicht mehr ins Museum, niemand wartete zu irgendeinem Zeitpunkt auf mich und meine Genialität. Mit 28 lernte ich meinen Mann kennen und er spielte mir regelmäßig auf alter Schellack-Platte Kurt Weill’s „Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens“ vor …

Erst seit wenigen Jahren habe ich das Gefühl, dass der ganze Schlingerkurs einen Sinn hat und irgendwie die losen Enden sich erfolgreich verknoten. Aber bis dahin fühlte ich mich immer als Suchende, ein wenig als Looser, auf jeden Fall weit entfernt von einer stringent durchgetakteten Karrieristin. Also Druck rausnehmen und wie die Süddeutsche Zeitung gestern schrieb: „Der Abiball ist nicht der letzte Teil der Abiprüfung; die nicht perfekten Feste sind oft die schönsten Feste. Feiert nicht Eure Selbstoptimierung, feiert das Leben. Ihr habt es Euch verdient.“ 

Roma 2012Roma Abi Sponti Feier

Abb.: Roma’s Sponti Abifeier, 2012. Oben noch mit langen Haaren, die nach der Mündlichen Schnipp-schnapp kurz geraspelt wurden.