Spätestens seit dem Frühherbst trage ich die Ornament-Brille. Überall sehe ich Arabesken, Rauten, Schnörkel. Die Farben sind Petrol, Ocker, Orange. Das kleine Taschenbuch „Haus der Weisheit“ über die Hochkultur Bagdads vom 7. – 9. Jahrhundert, in der das Wissen der Welt ins Arabische übersetzt und wieder in die Welt hinaus getragen wurde, hat überall seine Knicke, Eselsohren und mit Bleistift notierte Anmerkungen und Ausrufezeichen.
Natürlich bleibe ich auf der Oberfläche der Mode, aber durch mein neuen Kenntnisse fühle ich mich unglaublich bereichert. Chanel’s Modenschau gab den Auftakt in die Saison: „La Modernité de L’Antiquité“, Roma e Toska folgt mit einigen Jahrhunderten später, aber einem ähnlichen Anliegen. Die Motive stammen von Persischen Teppichen aus der Sammlung des Louvre, und dann wird ein großer Bogen in die 1970er Jahre geschlagen zu Yves Saint Laurent. Als ich mit den Arbeiten an der Winter Kollektion vor mehr als einem Jahr begann, war mir noch nicht klar, wie wichtig der 2008 verstorbene Designer in diesem Herbst werden würde. Zuerst eröffnete sein Museum in Paris und dann der Neubau im Oktober in Marrakech. Von den „Eisbären im Sommer“, einem Thema, das ein Umweltbewusstsein in die Welt der Mode verlagert, ging es nun anderes herum, und es sind die Mode und die Kunst, die das Bewusstsein für die Welt wieder schärfen.
Auf der Stoffmesse in Paris im September beschäftigten uns gleich drei Kollektionen: der aktuelle Herbst-Winter mit einer Auswahl von außergewöhnlichen Materialien meines Lieblingslieferanten, der über Jahrzehnte exklusive Chanel belieferte, der kommenden Sommer und der Herbst/Winter 2018. Toska war eine wunderbar strukturierte Beraterin und ich sah in allem meine verwebten Geschichten …
Ansonsten verliefen der September und Oktober reichlich trübe mit einem düsteren Dasein hinter Malerplanen in der MILCHSTRASSE sowie Wind-und-Wolken auf Sylt. Wenn keine Kunden kam, hing ich über der leidigen Administration und meine Atelier-Leiterin Melle über dem Klo – Schwanger! – Hanna, ehemals Backoffice, in Fortbildung und auch mit Schwangerschaftsplänen beschäftigt. Die neue Wohnung noch wenig charmant und zugestellt mit Kartons. – Da hat mich Yves gerettet, Yves Saint Laurent und der Vintage Schmuck, den ich aus Sammlungen rund um die Welt zusammen kaufte … und wieder verkaufte: Robert Goossens, Roger Scemama, die großen Haute Jewelry Designer wurden für mich zu geläufigen Namen und ich lernte ihre Formensprache kennen. Die Kollektion wurde um eine weitere Dimension bereichert.
Toska zieht nach Alt-Moabit und wir beide sind begeistert von der multi-kultig Muffigkeit dieses Berliner Stadtteils. Roma schreibt einen Aufsatz über „das Fremde“ und ich lasse mich ein auf Jeff Koons und seine Louis Vuitton Mona Lisa.
Und irgendwann übernahmen die Frauen und bestimmten den Herbst, die besonderen Frauen, die zu Musen wurden, die nicht nur kauften, sondern mich auch durch ihren Stil inspirierten. Jede interpretierte auf ihre Weise die aktuelle Kollektion, mischte mit Vintage Teilen, Eigenem, probierten dazu den Schmuck … Elegant, alterslos, mädchenhaft, Bohemien … Manche kamen einmal die Woche, zweimal die Woche, kein neues Teil entging ihnen. Einige von ihnen schickten Fotos, Selfies, ließen mich daran teilhaben, was sie morgens zur Arbeit tragen, was mit auf die Reise geht, ob der Rock zur Bluse funktioniert und welche Kette am besten passt … Christiane von Korff lief über die Buchmesse als Markenbotschafterin und interviewte das „Who is Who“ der Literatur. Ihre Begeisterungen gingen auf mich über und wurden zum Motor an den manchmal anstrengenden Tagen.
Weihnachten beginnt im Einzelhandel im Oktober, bei uns – spät – im November. Das Baugerüst ist endlich verschwunden, wir haben das schönste Haus in der Milchstrasse, meine Nachbarin Jil Sander einmal ausgenommen. Der Eingang bekommt die Weihnachtsgirlande, drinnen prasselt der Kamin. Bin ich nicht gestern noch auf Sylt ins Meer gesprungen?Die Wochen verschieben sich gefühlt zu Tagen, das Jahr 2017 rast dem Ende entgegen. Pop-up Event in München, dicht gedrängt stehen die Gäste im Kultcafé Waldmeister in Schwabing. Frederik Schwarz, der Juwelen Experte von Christie’s berichtet gleich im Dezember über die Persischen Kronjuwelen und wenig später verzaubert der Schauspieler Philipp Hochmair die Herzen der BesucherInnen.
Das Jahr geht nicht zu Ende ohne ein spontanes Highlight: Marrakech! Auf den Spuren der Arabeske und Yves Saint Laurent. Mit Ryanair für € 19,00 Direktflug und die ganze Familie taucht ein in die Welt von 1001 Nacht mit orientalischen Düften, Geschrei der Händler, The a la Menthe und kulinarischen Köstlichkeiten auf den Plätzen. Was für ein Geschenk, besonders, da es sich nicht um eine beliebige Reise in die Sonne handelt, sondern eine Begegnung mit all dem, was mich über die vergangenen Monate so beschäftig hat: die Arabeske, Yves, Petrol, Ocker und Orange …
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