Es gibt manchmal Dinge im Leben, die besitzen eine gewisse Magie, und man hat das Gefühl, als würde man weniger selbst entscheiden als das es einfach passiert. So saß ich Anfang Mai in der MILCHSTRASSE 11, die ich gerade im Begriff war aufzulösen nach vier wunderbaren Jahren.
Ich telefonierte mit meinen Töchtern in Frankreich, Coronazeit, und ich erzählte ihnen, was ich suchen würde, ein Haus, das ganz anders ist, das nichts Prächtiges an sich hat in einem herkömmlichen Sinne, dafür aber eine Magie besitzt in seiner – ja, ich habe es sogar deutlich formuliert – in seiner Schäbigkeit. Ich habe den Designer Margiela (Filmstart 15.10.) zitiert und sah den Ort deutlich vor meinen Augen, er musste nur noch gefunden werden.
Abb: Margiela Paris.
Wenige Tage später war ich eingeladen von Dr. Karen Michels, an ihrer Stadtführung „Geheime Orte in Hamburg“ teilzunehmen. Die Verabredung fand in der Polostrasse 12 statt in dem, was von der ersten Reform-Synagoge der Welt noch übrig geblieben war. Die magischen Räume waren gefunden, ein Areal, das aus der Zeit herausgefallen ist! Es ist ein Projekt, ein Experiment, begrenzt, im ständigen Wandel, zusammen mit dem Galeristen Thomas Holthoff als Partner für die Kunst.
Deutlich spürt man das Gute dieses Platzes, die Versöhnung, die dahinter steht, die Schwingungen einer gebildeten Geistigkeit. Nach dem Hamburger Brand von 1842 ging man an die konkrete Planung des „Tempelbaus“, wie die Reformjuden ihr Gotteshaus nannten. Vieles war neu definiert, Jerusalem nicht länger der Verheißungsort, sondern die Erfüllung konnte auch hier geschehen. Johann Hinrich Klees-Wülbern wurde der Architekt.
Männer und Frauen durften gemeinsam die Synagoge besuchen, und es sollte eine Brücke zum Christentum geschlagen werden. Dr. Karen Michels wird dieses in ihrem Vortrag am 15. Oktober und 25. Oktober noch viel besser ausführen, was ich hier nur skizziere.
1931 wurde das Gebäude verkauft und säkularisiert. Warum, wird sie uns ebenfalls erzählen und was danach geschah bis 1944 eine Brandbombe der Alliierten das gesamte Mittelschiff zerstörte. Stehengeblieben sind die Apsis, auch das ein ungewöhnliches Zitat der christlich-sakralen Architektur, und das vordere Teil mit dem Portal und der Empore für den Chor.
Wenn wir am kommenden Sonntag die Kunst, die Chandeliers, Möbel, Kleinobjekte und die Editionen von Roma e Toska dort installierten, dann werde ich in die Räume hineinhorchen, um alles miteinander in einen Einklang zu bringen. Das wird die große Herausforderung sein. Der Ort ist mächtig, soviel ist gewiss. Ihr werdet Euch selbst überzeugen können, ob der Dialog der Künste gelingt.
Abb: Ausblick aus der alten Synagoge von 1844, Alexandra Vogt.
Vortrag Dr. Karen Michels „Magischer Ort – Jüdisches Kulturleben in Hamburg“. Donnerstag, den 15.10.2020, 19.00 Uhr und die Wiederholung am Sonntag, den 25.10.2020, 16.00 Uhr auf Voranmeldung unter info@romatoska.de. Die Corona-Hygieneregeln verlangen eine begrenzte Gästezahl, Abstand und wir werden eigens dafür gestaltete Masken bereithalten.
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