Manchmal gibt es Tage, an denen sollte man am liebsten gleich wieder ins Bett gehen, es sei denn, man ist verabredet mit jemanden wie Karen Michels. Wie immer zum Lunch. Ich vergesse das nicht funktionierende Internet, die Schranktür, die mir entgegen fiel, und die Kirschzweig-Deko, die fast abgefackelt wäre. Es gibt Wichtigeres: Unsere Verabredung zum Mittagessen mit Frühlingsrisotto. Es geht um Japan.

Mitte des 19. Jahrhunderts öffnete sich Japan dem Westen mit ersten Handelsbeziehungen. Nichts wusste man vorher von diesem asiatischen Land und seiner Kultur.

Die verschiedenen Waren, insbesondere Tee, kamen in Kisten, eingewickelt in Papier, wie wir etwas in Zeitung einschlagen. Es waren farbenfrohe Holzschnitte, die sofort die Neugierde weckten und in den folgenden Jahren eine wahre Euphorie auslösten: den „Japonismus“, wie ihn die Kunstgeschichte nennt.

Zuerst ließen sich die Künstler von dieser fremden Ästhetik begeistern. Plötzlich gab es in den Bildern keinen Raum mehr, keine Perspektive. Etwas schiebt sich in den Vordergrund, ein Fragment, ein Baum, ein Lampion, ein Schirm, alles dahinter ist hochgeklappt wie auf einer Tapete und begnügt sich mit Andeutungen.

Es gibt Linien und Flächen mit leuchtenden unvermischten Farben. In Europa lernten die Künstler zu der Zeit immer noch in „Valeurs“ zu malen, in Abschattierungen von Grau- und Brauntönen. Karen zeigt mir van Gogh und seine frühen Arbeiten von den Bergarbeitern.

Und plötzlich kommt da etwas Klares, Leuchtendes in die Kunst, das aus der Vereinfachung lebt, das den Zufall zum Prinzip des Bildaufbaus erklärt. Es sind die „Ukiyo-e“, die Bilder von der fließenden Welt.

Ohne Japan gäbe es van Gogh nicht, jedenfalls nicht so, wie wir ihn kennen. Obwohl der Künstler immer unter Geldmangel litt, gab er das Wenige aus, um sich japanische Holzschnitte zu kaufen. Der Einfluss ist in jedem seiner Arbeiten zu sehen. (Japanische Holzschnitte im van Gogh Museum Amsterdam belegen ein ganzes Stockwerk.)

Oben eine Vase mit Iris von van Gogh, unten ein ähnliches Motiv aus Japan Mitte des 19. Jahrhunderts. Das Bild des niederländischen Künstler war eine Revolution, kein Interieur mehr im klassischen Sinne, sondern eine Vase, die auf einer Fläche steht, der Tisch wird nicht einmal mehr angedeutet, leuchtende Farben in harten Kontrasten zueinander. Noch besaß keiner den Mut, so etwas zu kaufen. In den späten 1980er Jahren wurde es zu einem der teuersten Bilder der Welt.

Karen zeigt mir Monets Garten in Giverny mit den Seerosen. Ich denke an Bonnard und Matisse, ihre Interieurs, in denen die Wände zu Flächen und Mustern werden. Schon springe ich hinüber in die Mode, die plötzlich freier kombiniert, bunter wird, Blüten gegen Linien setzt, Mustermix.

Abb: Holzschnitt oben, Galerie Herold (€ 1.800). Bild unten: Stoff Roma e Toska mit Collage Franz Marc und August Macke, Kollektion 2016.

Der Weg ist nicht weit bis zu den „Flicken“ des Boro-Stils und der High-Fashion von Comme des Garçons mit Rei Kawakuba und Yoshi Yamamoto, die ähnlich radikal in den neunziger Jahren in die Welt der Couture einbrachen.

So manch einer wird sich an meine eigene Kollektion erinnern: „East meets West“ mit den Drucken von Hokusai und der Bilder-Collage von Franz Marc und August Macke, 2016. Soll ich noch mal im Archiv schauen, ob es Stoffe gibt? Vielleicht für ein Unikat?

Abb oben: Margarete Weiss, Manufaktur Uffrecht, 1930, 2 x Tasse und Untertasse (zusammen, 4 Teile € 240)

Aber zurück zum Japonismus und den Künstlern des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Sie alle suchten nach Auswegen, um sich der europäischen Ästhetik zu entledigen. Der Weg führte in die Ferne, Afrika, Papua Neuguinea (Nolde), Tahiti (Gauguin) und nach Japan, mit seinen Holzschnitten, seinen Schriften, seiner Philosophie und Kultur. Das Schöne in der Einfachheit finden.

Abb: Paul Klee, rechts „Kindheit“, 1938

„Das Eine in Allem und das All im Einen, wo dies vollkommen begriffen wird, da ist schöpferisches Genie.“ (Japan 6./7. Jahrhundert)

Das Gedankengut Japans beeinflusste das Bauhaus, wurde zum „Geburtshelfer“ des Minimalismus der fünfziger Jahre, und es bestimmt uns in unserem kreativen Denken bis heute. Die Vorliebe für das Weglassen. Der Zufall als Prinzip, das ewig Fließende in der Welt, und das Weniger ist mehr.

Die Künstler haben die andere Kultur genutzt, um ihr Sehen zu verändern und gleichzeitig das Eigene stärker herauszuarbeiten. Es entwickelte sich seit der Öffnung Japans ein neuer Begriff von Schönheit, der in alle (!) Bereiche des Lebens hineinreicht – bis heute.

Und wieder ist ein langes Mittagessen bis in den frühen Nachmittag hinein vorbei. Vergessen sind die Ärgernisse des Morgens, stattdessen bin ich verflochten in einem Netz von kreativen Gedanken, von früheren Kollektionen und neuen Plänen in die Zukunft. Ein Dank an die Freundin, für mich eine der besten Kunsthistorikerinnen der Welt, da sie versteht, die großen inhaltlichen Bögen über Länder und Zeit zu schlagen.